During the early Italian wars from 1494–1515, French chapel singers often accompanied their patrons to war and participated in both routine devotion and triumphal celebrations. Polyphonic music that arose in these contexts has been sporadically preserved. Among this repertoire, no composer is better represented as a wartime composer of the French chapel than Jean Mouton, whose presence in the battle entourage of 1515 was attested in a letter from music copyist Jean Michel. This presentation looks closely at Mouton’s experiences and musical output in response to war and attempts to understand how his works, in particular the victory motet »Exalta regina Galliae« and the elevation motet »O salutaris hostia«, can be understood as wartime music. This analysis compares these works to a wide range of written and visual sources with military themes, which illustrate how these works would have been received within the broader milieu of wartime works surrounding the court of Francis I.
Die Parodiemessen über »Ecce nun benedicite« von Ludwig Daser und Orlando di Lasso basieren, so scheint es zunächst, auf einer gemeinsamen Vorlage, nämlich Dasers gleichnamiger Motette zu vier Stimmen aus der Mitte der 1550er-Jahre. Dasers hierüber komponierte, gleichfalls vierstimmige Messe wurde rund zehn Jahre später in das Münchner Chorbuch Mus.ms. 2746 ingrossiert, Lassos sechsstimmige Messe fand dagegen erst 20 Jahre später Eingang in das Repertoire der Münchner Hofkapelle. Zwar läge es nahe, in Lassos Messe schlicht eine Art von Ersatzkomposition zu vermuten, geht sie doch in ihrer Stimmenzahl, der Komplexität ihrer musikalischen Faktur und der Ausgestaltung mancher Schlüsselmomente deutlich über diejenige von Daser hinaus. Doch zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass Lasso mitnichten nur Dasers Motette, sondern in beträchtlichem Maße auch auf dessen Messe selbst rekurriert. Ausgehend von einigen analytischen Schlaglichtern werden anhand dieses kompositions- wie rezeptionsgeschichtlich komplexen Falles methodisch adäquate Zugriffe auf Parodien, Eigenparodien und auf deren kompositorische Weiterverarbeitung diskutiert.
Chapel master Franchinus Gaffurius supervised the making of four voluminous choirbooks for the musical chapel at Milan Cathedral, the epicentre of the Ambrosian Rite. However, many pieces within the Gaffurius codices correspond to the Roman Rite or blend characteristics of both rites. This study examines the unexplained ritual dualism in the Mass ordinary settings from various liturgical perspectives, including institutional and ritual history, as well as codicological, textual and musical analyses. It suggests that this polyphony served as an additional layer to the liturgy to promote devotion and offers pragmatic explanations for the apparent ritual contradictions. Additionally, this study analyses the relationship between music and text in the rarely studied Mass ordinary settings of Gaffurius, some of which are autographs. It reveals his compositions as musical exegeses of their text through contrapuntal techniques, text omissions, and structural divisions. Although the specific Milanese context requires tailored methods, the results contribute to our general understanding of polyphonic Mass settings as a medium of text and devotion in the Renaissance.
Die Entwicklung von computergestützten Werkzeugen für die Musikanalyse begann bereits in den 1960er Jahren und hat in den letzten zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Heute stehen uns zahlreiche Werkzeuge zur Verfügung. Umfassende Kodierungsformate ermöglichen es uns, über die eigentliche Musiknotation hinausgehende Informationen und Metadaten in die Werkzeuge einzuspeisen. In den letzten Jahren ist auch die Musik, die nicht in der üblichen westlichen Musiknotation geschrieben ist, zu einem Schwerpunkt der digitalen Musikwissenschaft geworden. Dieser Beitrag versucht, aktuelle computergestützte Ansätze mit traditionellen, manuellen Ansätzen zu kombinieren, indem verschiedene Werkzeuge und Kodierungsstrategien verwendet werden. Das Hauptmaterial stammt aus den Manuskripten D-Mbs Mus. ms. 1512 und D-B Mus. ms. 40632. Der Fokus liegt dabei darauf, kleine, aber relevante Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der geschriebenen Musik aufzuspüren. Das Ziel ist es, mögliche computergestützte Herangehensweisen an einen Korpus vorzustellen, um Fragen zur Musik und ihrem Kontext anhand großer Korpora zu beantworten.
Der Vortrag widmet sich dem vielgestaltigen Phänomen der Musik über eigene Musik am Beispiel des frühneuzeitlichen Messordinariums. Im Zeitraum zwischen dem frühen 15. und frühen 17. Jahrhundert finden sich gut 130 Messvertonungen, denen Komponisten ihre eigene – mal weltliche, mal geistliche – Musik zugrunde gelegt haben. Hinsichtlich der für den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen künstlerischen Schaffensprozess konstitutiven Begriffskonstellation von »materia« und »artificium« bedeutet dies eine Verschiebung kompositorischer Selbstverortung – eine mindestens ästhetische, durchaus aber auch historisch perspektivierte Aufwertung des eigenen Schaffens. Kompositorische Selbstbewertung rangiert, wie es scheint, in diesen Fällen nicht kategorisch hinter der autoritativen Geltung tradierter Choralvorlagen. Das Schaffen des Komponisten erhält so – mithin explizit – selbstreferentiellen und -validierenden Charakter. In einer Verknüpfung musik- und literaturwissenschaftlicher Ansätze sollen ausgewählte Beispiele zunächst in ihrem textuellen Verhältnis zu ihrer Vorlage analytischer Betrachtung unterzogen werden, um sodann in einem zweiten Schritt mithilfe translationswissenschaftlicher Konzepte wie denen des Übersetzens und Wiedererzählens auf Muster und Strategien musikalischer Autorezeption hin geprüft zu werden. Dergestalt soll ein Zugang zum frühneuzeitlichen Komponieren gefunden werden, der Ideen musikalischer Autorschaft und künstlerischer Selbstverortung nachspürt.
Bereits mit der Planung und Entstehung der memorialkulturellen Monumente zu Lebzeiten Kaiser Maximilians I., die uns heute unter dem Begriff »Gedechtnus« bekannt sind, setzt eine Mythologisierung der Person Maximilians ein, die selbst Jahrhunderte nach dessen Tod noch immer Bestand hat. Die in diesen Werken auffällige Marienfrömmigkeit wird dabei heute in der Forschung traditionellerweise als Phänomen der Zeit abgetan und auf Maximilians Todeskult und ausgeprägte Sorge um das eigene Seelenheil reduziert. In jüngerer Zeit sind jedoch zahlreiche Arbeiten in verschiedenen Fachdisziplinen erschienen, die diese (Marien-)Frömmigkeit nunmehr weniger als private Neigung, sondern als kollektive Praxis betrachten. Sie, die Marienfrömmigkeit, wird in einem komplexen Netzwerk, das sich um Maximilian spinnt, kreiert, politisch instrumentalisiert, zu Memoriazwecken genutzt und manifestiert sich u. a. musikalisch. Dies These soll anhand des Motettendrucks, dem »Liber selectarum cantionum« (Augsburg 1520), fruchtbargemacht werden: Es besteht die Vermutung, dass der »Liber selectarum cantionum« – mit Blick auf das Repertoire, das Entstehungsumfeld und die beteiligten Mitgestalter und Unterstützer – neben der Absicht der Machtsicherung der Habsburger, vor allem das Seelenheil des jüngst verstorbenen Kaisers sowie aller am Druck beteiligten Personen verfolgt.
Der mittelalterliche Codex bildet eine bedeutende Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis des Gregorianischen Chorals, dessen Verschriftung einer vorherigen Durchdringung und Systematisierung bedurfte. Vor der Verschriftung stand damit ein Objektivierungsprozess des Gegenstandes. Unterschiede in Abschriften deuten auf ein musikalisches Konzept des Schreibers. Die möglichen Intentionen in der Wiederverfügbarmachung von Erinnerung an ein Repertoire und der Schaffung einer Kontrollinstanz für das zu Singende kann mitunter anhand von Einzelfällen ebenso eruiert werden wie eine weitreichendere konzeptuelle Rückbindung: Welche theoretischen Prozesse mögen der Anfertigung von Handschriften vorausgegangen sein? Welche derartigen Prozesse lassen sich in überlieferten Zeugnissen ablesen? Anhand von vier adiastematischen Handschriften unterschiedlicher Provenienz, die bislang von der Neumenforschung unbeachtet bleiben mussten, werden Rückschlüsse auf die musiktheoretischen Konzepte der Schreiber bzw. der Kantoren gezogen. Diese Handschriften der so genannten Berlinka-Sammlung waren während des Zweiten Weltkriegs ausgelagert worden, galten lange Zeit als verloren und sind unlängst wiedergefunden worden.
Wie zuletzt Nicole Schwindt und Esther Dubke in Studien zur Musik am Hof des römisch-deutschen Kaisers Maximillians I. (2012ff.) sowie zur Wittelsbacher Kantorei um Orlando di Lasso (2021) gezeigt haben, herrschen an frühneuzeitlichen Musikinstitutionen bisweilen Werkstatt-ähnliche Produktionsbedingungen. Gerade im Umfeld von Hofkapellen mit hohen Produktionsfrequenzen scheinen – analog zu den Malerwerkstätten der Renaissance – mehrere Individuen im Verbund gearbeitet und komponiert zu haben. Im Vortrag sollen anhand ausgewählter Institutionen aus dem deutsch- und italienischsprachigen Raum zunächst verschiedene Motivationen und Modelle gemeinschaftlichen Komponierens vom späten 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert erörtert werden. Dabei rückt die Kategorie musikalischer Autorschaft in den Fokus, die für die frühe Neuzeit als dynamisches Phänomen und mithin als miteinander geteilte Praxis aufgefasst wird. In einem zweiten Schritt sollen sodann Arbeitsquellen vorgestellt werden, in denen sich proto-schöpferische Aktionen als gemeinsame Lern- und Übungserfahrungen mehrerer Schreiber dokumentieren. Ziel ist, Praktiken des geteilten Arbeitens an Musik nachzuspüren, die Komponisten sowohl für eigene Arbeiten als auch für Kollaborationen produktiv machen konnten.
Since Gustave Reese’s »Music in the Renaissance« (1954), a nebulous collection of musicians active in the period between Josquin and Palestrina has been pejoratively characterized as the »post-Josquin« generation. To begin with, this grouping is incorrect: composers such as Adrian Willaert, Nicolas Gombert, and Clemens non Papa have been inappropriately lumped together not based on their periods of compositional activity, but because they died around the same time. More problematically, fuzzy understanding of seminal musical sources from the 1520s and limited information about composer biographies have made it difficult to assess when a new style of composition emerged, of what this style is made, and who was responsible for its development. Notwithstanding recent studies by scholars such as Bernadette Nelson, Joshua Rifkin, and Julie Cumming that offer invaluable biographical revisions as well as elucidations of central genres, a full and up-to-date stylistic picture for the years 1515–55 has yet to be assembled. Coining the term »The Imitation Generation« to reflect the centrality of the new technique of pervading imitation, I argue in my dissertation that musical sources produced between 1519 and 1529 evince a multifaceted stylistic shift led by Costanzo Festa, Jean Richafort, Noel Bauldeweyn, Philippe Verdelot, and Willaert. These composers’ works feature new combinations of existing stylistic techniques, including a pervasively imitative texture, the almost exclusive use of Cut-C mensuration, harmonic rhythm at the level of the minim, and a preference for five and six functional voices. I further suggest that Willaert’s Verbum bonum et suave, which circulated as early as 1515, represents a proverbial shot across the bow: much like Josquin’s Ave Maria… virgo serena, this watershed of a motet anticipates the new stylistic paradigm by as much as a decade. Tracing the origins of the Imitation Generation reveals a tendency in our music histories to marginalize “difficult” music, and invites us to engage more empathetically with the positive evaluations these repertories received in their own time.
Das Phänomen des sogenannten liturgischen Dramas, das im neunten Jahrhundert seinen Anfang nahm und besonders im zwölften Jahrhundert eine Blütephase der Produktivität und Erweiterung erlebte, wird in der interdisziplinären Forschung schon seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Dabei lag der Fokus insbesondere der früheren Beiträge darauf, das liturgische Drama als aus dem Gottesdienst entwickelte frühe Theatergattung zu verstehen. Weniger aber wurde die rituelle Funktion der Texte erörtert – und wenn, dann meist ohne tiefergehende Betrachtung der Melodie. Dabei zeigt sich bei genauerer Untersuchung beispielsweise der Osterfeiern eine Fülle an Funktionen und ausschöpfbaren Potentialen: Textlich und musikalisch an die reguläre Liturgie angebunden, eröffnen sie als Tropus einen Raum im Gottesdienst, in welchem durch Visualisierung der gefeierten biblischen Erzählungen eben diese Narrative für die Gemeinde belebt werden und ihre Gemeinschaft im Bekenntnis stiften. Der essentielle Unterschied zwischen liturgischem Drama und regulärer Liturgie besteht dabei in der narrativen Anordnung der Handlungen, die im Gegensatz zur Messhandlung eine „Szene“ im weiteren Sinne entstehen lässt. Während die meisten Feiern, so vor allem die Osterfeiern, jedoch eine klare Verbindung zu Liturgie und theologischem Kontext des Kirchenjahres aufweisen, geben einige Stücke vor diesem Hintergrund in ihrer Hermeneutik Rätsel auf. Das bekannteste von ihnen mag der Sponsus sein, der in Handschrift F-Pbn lat. 1139 als Teil des aquitanischen Tropenrepertoires von St. Martial niedergeschrieben wurde. Zugrunde liegt das Gleichnis Jesu‘ von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25, 1–13), das sich im Gegensatz zu den offensichtlichen Osterfeiern nicht unmittelbar in einen bestimmten liturgischen Kontext einbinden lässt. Das führte dazu, dass der Text als Beispiel für eine – wenn auch nicht abseits jeglicher zeremonieller Bedeutung – vom Gottesdienst gelöste Theaterform dargestellt wurde. Die rituelle Bewertung des liturgischen Dramas als Phänomen aber lässt an dieser Einordnung zweifeln, vor allem auch aufgrund der engen Beziehungen zur klar gottesdienstlich verordneten Osterfeier LOO 823 aus Vic. Daher soll im Kolloquiumsbeitrag eine neue Interpretation des Sponsus versucht werden. Dafür wird zuerst das Phänomen und die Hermeneutik des liturgischen Dramas als theatrales – oder besser narratives – Ritual in aller Kürze erläutert und dann für den Sponsus überprüft werden. Im Zentrum steht dabei die Frage nach ritueller Verortung und Funktion des Sponsus besonders im Hinblick auf die textlich-musikalischen Merkmale sowie die sich daraus ergebenden Probleme der performativen Umsetzung. Hierfür werden vereinzelt Aspekte aus der praktischen performativen Arbeit als Ergänzungen einbezogen, die einem Aufführungsprojekt im Kontext einer Kooperation von Schola Cantorum Basiliensis und Stadttheater Basel entsprangen. Ziel dessen wird vor allem die Neuüberlegung des Theatralen im liturgischen Drama sein. Der Beitrag soll also ein rituelles Verständnis des Sponsus als narrativ-theatraler Form von Gottesdienst untermauern und so einen neuen Zugang zu den nicht offensichtlich an die Liturgie angebundenen liturgischen Dramen anbieten.
Im Vortrag wird zum ersten Mal die bis jetzt nicht erforschte Leipziger Tabulatur für Tasteninstrumente D-LEm, I.191 vorgestellt. Die Recherche zeigt, dass das Unikat sich audf das Ende der 1530er oder in die 1540er Jahre datieren lässt. Es stammt aus Mitteldeutschland (Ost, ev. Leipzig) und ist somit das einzige erhaltene Exemplar eines Tastenmusik-Notats im mitteldeutschen Raum vor dem Tabulatur-Druck von Elias Nicolaus Ammerbach (Leipzig, 1571). Die Handschrift bietet außerdem eine seltene Möglichkeit, bürgerliche bzw. städtische Schulpraxis in der Instrumentalmusik vor 1550 zu verfolgen. Das Manuskript wird zuerst im musikgeschichtlichen und aufführungspraktischen Kontext des 16. Jahrhunderts verortet: Die Tabulatur wurde noch im 16. Jahrhundert mit zwei Drucken von Martin Agricola – »Ein kurtz deudsche musica« [1528] und »Musica intrumentalis deudsch« 1529 – zusammengebunden. Sie ist ein Übungsheft zu damals bekannten instrumentalen Lehren (Agricola, Virdung, Schlick); zugleich transferiert und adaptiert sie die Erfahrung der Orgeltabulaturen von Kotter, Kleber, Buchner und Lublin. Es zeigt sich das Spezifikum des Manuskriptes D-LEm, I.191 als mitteldeutscher Quelle einerseits und der Transfer von südlichen Praktiken andererseits. Es werden Fragen zu sozialer Verortung der Tabulatur D-LEm, I.191 und ihrer Didaktik diskutiert: Welche Vorkenntnisse sollte der Schüler haben, um das Manuskript nutzen zu können? Auf welche Praktiken stützte sich der Schreiber selbst? Wie ging der Schreiber mit dem gedruckten Lehrbuch um? Weiterhin wird ein Blick in die Sammlung und die Schriften Carl Ferdinand Beckers geworfen, mit dem Ziel, die Rolle des Manuskripts D-LEm, I.191 in Beckers Sammlung aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts zu klären.
Schon die Editoren von Orlando di Lassos Messen im Rahmen der Neuen Reihe sahen sich bei einigen Zyklen mit der Schwierigkeit einer eindeutigen Zuschreibung konfrontiert: Selbst wenn sich das Problem einer gesicherten Autorschaft von anonym überlieferten Werken bei Lasso aufgrund häufiger Parallelquellen als vergleichbar gering darstellte, verblieb doch ein Restbestand, der begründete Zweifel an seiner kompositorischen Urheberschaft bestehen ließ. Gerade das Phänomen der Mehrfachzuschreibung – die Überlieferung einer Komposition unter verschiedenen Namen beziehungsweise mit nachträglicher Tilgung und/oder Überschreibung eines ursprünglich angegebenen Komponistennamens in unterschiedlichen Handschriften und/oder Drucken – nötigte den Herausgebern eine Festlegung auf die eine oder andere Autorschaft ab. Bei der Entscheidungsfindung galt es, »anhand der Besonderheiten der Überlieferung jeweils die Zuweisung nachzuprüfen und neben dem diplomatischen Befund vor allem die Qualität der Musik selbst als Kriterium mit heranzuziehen.« Die Musikgeschichtsschreibung hat bereits mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten unter Beweis gestellt, dass die ›Zuschreibung an‹ beziehungsweise die ›Abkehr von‹ einem bestimmten Komponisten anhand stilkritischer Untersuchungen stets ein wenig verlässliches und riskantes Analysemanöver ist, dass jederzeit durch neue, eindeutige Quellenfunde an seiner zwangsläufig nachfolgenden Kritik zu scheitern droht. In diesem Vortrag wird daher der Versuch unternommen, den Überlieferungsbefund der Mehrfachzuschreibung für einen neuen Interpretationskurs fruchtbar zu machen. Indem Traditionslinien im Münchner Messenrepertoire mit Blick auf die Textunterlegung, Tonarten und Mensurverhältnisse nachgezeichnet werden, kann ein Gattungsprofil von Lassos Kompositionsbeiträgen skizziert werden, das stets zwischen Konventionalität und Neuordnung vermittelt und gleichermaßen Stereotype wie deren Variationsmöglichkeiten vorgibt. Damit rücken die Organisationsmechanismen der Wittelsbacher Kantorei ins Blickfeld einer systemorientierten Untersuchung. Die personelle Aufstellung der Hofkapelle und die Repertoiregenese der bayerischen Hofkapelle sind vergleichbar mit den produktiven Bedingungen in den zahlreichen Malerwerkstätten der Renaissance und eröffnen neue Perspektiven auf Kompositionsprozesse im 16. Jahrhundert.
The phenomenon of plainsong masses, those polyphonic masses based on chants corresponding to the mass of a certain day or feast such as Missae paschalis, Missae dominicalis etc. still lacks a comprehensive overview. So far, studies have been conducted on individual masses and on groups of the same subtype as the Missae de beata virgine or the vast number of Heinrich Isaac’s musical settings of ordinary and proper chants. Similarly, the Missae de feria have not attracted attention aside from a first overview by Andrew Weaver. Based on his findings that the ferial masses can be grouped in distinct “families” – each characterised by stylistic uniformity and musical interconnections – I will focus on the cluster of Roman masses. These include the ferial masses by Johannes Martini, Andreas Michot and Johannes Beausseron as well as an anonymous mass cycle, preserved in the Sistine choirbooks CS 35, CS 55 and CS 63. Richard Sherr once drew attention to the fact that these very manuscripts also include some extraordinary settings of the Ash Wednesday tract Domine non secundum and suggested a liturgical-functional link to the Missae de feria. Following this trace in examining the chant models as well as the codicological, liturgical and musical connections between the Roman ferial masses and the aforementioned tract, I will provide a more precise perception of Missae de feria at the beginning of the sixteenth century.
The island of Crete was one of the most important dominions of the Republic of Venice. Despite the long-lasting Venetian rule, from 1211 to 1699, a process of cultural intermingling between Italian and Greek culture came to fruition at a very late stage. Indeed, only from the second half of the fifteenth century, contacts between the Venetian and the Cretan populations resolved into a successful coexistence and cultural and religious hybridisation. Rooted in the Italian Humanism as well as in the Byzantine world, the Cretan society knew an impressive cultural and artistic flourishing, commonly labelled as Cretan Renaissance. So far, scholars from different fields have investigated the question of the Cretan identity mostly in the artistic and literal production (Holton, Panagiotakis, Vincent), and only a limited attention has been paid to the complex soundworld emerging from the same literal, artistic and documentary sources. This paper aims to discuss the role played by music and sound in shaping the identities of venetian-greek urban intellectuals, focusing in particular on the local reception of western musical practice and theory. Indeed, western music, mostly Italian, played a crucial role in everyday life of Cretan cities, from liturgy, to incidental music for greek theatrical plays, and even in the philosophical discourse of the local accademie As case study, I will consider the presence of music in the Greek chivalric poem Erotokritos, written at the end of the Sixteenth century, by the venetian-greek nobleman Vintsentzos Kornaros. In the poem, the main character of Erotokritos, a young knight, scholar and, most importantly, refined singer and song composers, epitomises the ideal Cretan intellectual. Furthermore, following a model derived from the Italian humanism and Neo-Platonism, music and voice are the most precious skills of Erotokritos, strongly connoted with magical and orphic features. Finally, my analysis will offer a comprehensive framing of the musical scenes of the poem, in the context of the local music making, with the final aim to understand the role played by western musical aesthetics and practice in the multicultural society of Venetian Crete.
Matteo da Perugia occupies a place of relevance in the late Ars Nova repertoire, a phase of music history in which the composition of vocal polyphony experiences a definite shift in language and expression, opening to new models, aesthetic currents and techniques. Although archival evidence on the composer is scant —he has been traced to the Visconti circles of Milan and Pavia from the beginning of the 15th century until the 1420s— dozens of pieces attributed to him survive in the famous Modena codex and in other fragments now in Europe and the US. Thus, Matteo's exceptional amount of surviving secular works —settings of French fixed forms and two Italian ballate — enable us to make stylistic considerations from an authorial perspective. This paper will discuss Matteo da Perugia's compositional choices based on a large-scale analysis of metrical, stylistic, intertextual, and linguistic features of the lyrics that he set to music. New interpretations of the often obscure meaning of such texts and their literary quality will be offered, and observations will be made on the composer's musical attitude towards form, rhyme, hemistich division, enjambement, and refrain. Intertextual procedures that link Matteo's poetic, melodic and contrapuntal material to other works present in the same codex strengthen the hypothesis that he may have known and assimilated at least part of the Modena repertoire during his career. Moreover, newly found codicological evidence will throw light on scribal practices regarding text and music transcription.
Self-representation of political power and the patronage of the arts have been a pinnacle of personal rule during the Renaissance era. The court of Margarethe of Austria (1480–1530), which she established in Mechelen as the governor of the Habsburg-Burgundian domain, is no exception to this. She presented herself in public as a widow and combined the shrewdness of her political actions with a very palpable Marian devotion to legitimize her rule. Together with her succession in this specific territory, Margarethe also inherited one of the most famous and renowned chapels in whole Europe – the Burgundian Grande Chappelle – and with it a considerable number of proficient composers, out of which Pierre de la Rue was the most productive. The investigation of this connection in between politics and music at court seems to be a missing link both in (music) history as well as in the field of institutional history in particular. In my presentation, I want to highlight these ramifications in between political (self)representation and musical composition as a support of the political claim through music. I intend to discuss different methods to approach this task, study of archive materials, codicological research and the liturgical context will be very important points to gain further knowledge on the emphasised subject. Apart from the service, music also serves as a major aspect for illustrating the worldly matters of representation at the court. Furthermore, I want to raise the question how the politic agenda is reflected in the music itself and if it is possible to prove this interdependency even in the compositions themselves. Thirteen out of the thirty-two masses of La Rue display a conjunction to Mary or Marian topoi, he was the first composer to write the whole Magnificat cycle in all eight toni and he wrote six Regina coeli motets which contain a third of all his motet compositions. Thus, the quality and sheer quantity of these works make a connection in between composer and the political imagination of Marian devotion of the court plausible. I intend to take the cycle of the Magnificat as an example of this link in between the special Marian devotion of Margarethe and La Rue’s compositional prowess.
Sebastian Virdungs »Musica getutscht« von 1511 steht als erste deutschsprachige Druckschrift, die sich mit Instrumenten und instrumentalmusikalischer Notation auseinandersetzt, keineswegs voraussetzungslos an der Wende vom 15. ins 16. Jahrhundert, sondern stützt sich auf ein dichtes Bündel an Diskurstraditionen, fügt sich in ein facettenreiches Panorama vielfältiger Kontexte. Der Vortrag fokussiert dabei auf die medien- und kommunikationshistorischen Horizonte, vor denen Virdungs Schrift zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit einzuordnen ist. Mit Blick speziell auf den Druckort Basel und Virdungs Druckerverleger Michael Furter (sowie vergleichend mit den für Virdung ebenso wichtigen Zentren Augsburg und Straßburg) rücken dabei die Texttypen vernakularer Fachprosa ebenso in den Blick wie speziell das musiktheoretische Schrifttum und der Notendruck, aber auch die deutschsprachige theologische Druckproduktion der Zeit. Nicht zuletzt die Visualisierung, Bebilderung und graphische Ausstattung ist – verglichen mit anderen, benachbarten Publikationen – in mehrfacher Hinsicht signifikant.
Im interdisziplinären Forschungsvorhaben geht es darum, die ikonografischen Quellen von Hackbrett, Psalterium sowie der Hybridform Harfenpsalterium im Alpen-Adria-Raum zu untersuchen. In einem ersten Arbeitsschritt erfolgt die Dokumentation der Instrumentendarstellungen bei Wandmalerei, Tafelmalerei und Skulptur innerhalb des sakralen Umfeldes zwischen 1320 und 1530. Ziel dabei ist die Anfertigung eines detaillierten Bildkataloges samt ikonografischer Beschreibung und Lageplan jeder Quelle. Auf Grund dieses Ausgangsmateriales ist es sodann möglich, weiterführende Fragestellungen mittels diskursiver Betrachtung zu behandeln: Zunächst erfolgt die Analyse der drei Instrumententypen hinsichtlich deren Organologie und Spielweise. Dabei wird auch der Spezialfall »Bild als Quelle« und die daraus entstehende Problematik der Relation von Realität und Symbolik thematisiert. Beim anschließenden Vergleich kommen musikwissenschaftliche, kunstgeschichtliche und theologische Inhalte gleichermaßen zum Tragen: Hier werden Aspekte zu Musizierfiguren und deren Erscheinungsbildern, zur Umsetzbarkeit einer möglicherweise reellen Aufführungspraxis, zur quantitativen Gewichtung der Kunstgeschichte-Gattungen, zum zeitlichen Verlauf des Vorkommnisses der Instrumententypen, die ikonografischen Themen vorhandener Sujets mit Musikbezug, sowie Fragen zur Quellenplatzierung innerhalb der Gesamtarchitektur erörtert. Zuletzt wird der Kontext innerhalb des Forschungsraumes beleuchtet, wobei zu fragen ist, ob die Chordophone als verbindendes Instrument im Alpen-Adria-Raum angesehen werden können.
Always a borderland territory, Silesia was a meeting point for different ethnic groups, cultures, and confessions. Tolerance between the Lutheran and Catholic parties existed side by side with confessional conflicts within the Evangelical church. Notwithstanding its multicultural and multiconfessional character, Silesia developed a strong territorial and ideological cohesion. This peculiar situation influenced artistic practices, among them music. In my contribution, I will focus on the Lutheran hymnbook »Ein Schlesich [!] singebüchlein«, published in Wrocław in 1555. Curiously, the hymnbook avoids the usual ›Lutheran‹ hymn repertoire, and instead relies on a more peculiar and markedly retrospective repertoire. I will argue that the characteristics of the hymnbook’s paratexts and content are representative of a specific Silesian ›regionalism‹ (intended as regional consciousness), and they mirror the theological debate within the Silesian evangelical church. Analysis of the polyphonic hymns will also serve to address the reasons behind the survival of ›archaic‹ repertoires (a common phenomenon also in other central European regions), the ways of their circulation beyond borders and confessions, and their role in shaping religious and regional identities.
Die 138 Quellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die mindestens eines von Moralesʼ polyphonen Magnificat enthalten, belegen ihre Sonderstellung. Mit Hilfe der zeitgenössischen Musiktheorien, der Magnificat-Vertonungen seiner Vorgänger in Spanien und Rom (u. a. Francisco de Peñalosa, Constanzo Festa und Carpentras), sowie seiner Nachfolger in Spanien, Italien und im protestantischen Umfeld (u. a. Francisco Guerrero, Tomás Luis de Victoria, Palestrina und Johann Walter) wurde untersucht, wodurch sich Moralesʼ Magnificat auszeichnen. Die Analysen haben gezeigt, dass Morales durchaus als Begründer einer »Magnificat-Tradition« gelten kann, die sich auf konkrete Vorgehen und Merkmale bezieht, die sich auch in der nachfolgenden Generation durchsetzt. Zugleich ist es gelungen Morales in ein neues Licht zu rücken und seine Bedeutung für die Musikgeschichtsschreibung, als wichtige Verbindung zwischen der Josquin- und der Palestrina-Generation, aufzuwerten und zu bestätigen. Der Vortrag will eine Auswahl der Ergebnisse darstellen und ein erstes Fazit formulieren.
Mit Errichtung der albertinischen Fürstenschulen 1543–1550 und den Reformen im Umfeld der Kirchen- und Schulordnung von 1580 wurde die Ausbildung des kursächsischen Schul- und Kirchenpersonals nachhaltig systematisiert. In einer Zeit, in der musikalische Kompetenz nicht über eine Fachausbildung, sondern an (höheren) Lateinschulen erworben wurde, drängt sich ein Zusammenhang zwischen landesherrlich forciertem Ausbildungsbetrieb und der ab ca. 1575 greifbaren reichen Figuralmusikkultur Mitteldeutschlands förmlich auf. Unterstreichen schon die Tätigkeiten Cornelius Freundts, Christoph Nostwitzs, oder Christoph Demantius an den Gymnasien zu Zwickau, Löbau, Zittau und Freiberg die Rolle der Gymnasien für die mitteldeutsche Musikpflege und produktion, so soll im Vortrag der Wirkungsradius der Fürstenschüler (und ihrer Kantoren) bestimmt und mit Befunden der Figuralmusiküberlieferung abgeglichen werden.
Im Diözesanarchiv Köln, genauer gesagt im Bestand Hardenrath, befinden sich zwei handschriftliche Chorbücher des späten 16. bis frühen 17. Jahrhunderts: Sie stammen aus Prag und gelangten als Teil des Nachlasses von Jacob Chimarrhaeus (Elemonisarius am kaiserlichen Hof Rudolphs II.) nach Köln. Bisher existieren keine publizierten Forschungen, die sich detailliert mit den beiden Chorbüchern beschäftigen. Eines der Chorbücher enthält vier Messen des italienischen Komponisten Stefano Felis (1538– nach 1608), der sich in den späten 1580er Jahren im Umfeld des Prager Hofes aufhielt und dort auch sein erstes Buch der Messen (Nigrinus 1588) drucken ließ. Das andere Chorbuch schließt Messen von Orlando di Lasso, Philippe de Monte (damals Hofkapellmeister Rudolphs II.) sowie eine anonym überlieferte Komposition mit ein. Der Vortrag wird sich sowohl mit dem musikalischen Umfeld Felis' in Prag und seinem Schaffen als Messenkomponist beschäftigen als auch den Weg der Chorbücher von Prag nach Köln nachzeichnen sowie die Quellen mit ihren Wappen, Wasserzeichen und Schreibern in den Fokus nehmen. Es sollen ausgehend von den bisherigen Ergebnissen mögliche weiterführende Forschungsfragen aufgezeigt und diskutiert werden.
Die These der Erneuerung der Musik im Geiste des Renaissance-Humanismus, besonders im Geiste der Rhetorik, lässt gerne übersehen, dass das Komponieren mit Zahlen und mit ihm das platonisch-pythagoräische Erbe im 16. Jahrhundert durchaus noch aktuell waren, wenn auch unter veränderten Vorzeichen. Obwohl bereits Christian Kaden vor einer einseitigen Sichtweise gewarnt hat, wurde gerade das Verhältnis von zahlhaftem Komponieren und dem allgemeinen ästhetischen Wandel selten erforscht. Entsprechend soll das Referat die Diskussion um die Rolle bewusst zahlhaft organisiertem Komponierens im 16. Jahrhundert neu beleben helfen. Am Beispiel des Werks und der Rezeption von Josquin Desprez wird gezeigt, dass der Wille zu rhetorischem Ausdruck und zahlhaft-symbolische Organisation Hand in Hand gehen konnten, dass das pythagoreische Erbe also dem neuen Ausdrucksprinzip integriert werden konnte. Am fünfstimmigen »Salve regina« sowie am berühmten »Miserere« soll in einem ersten Schritt deutlich gemacht werden, dass kompieren mit Zahlen nicht als geheimniskrämerisch-hermetische Angelegenheit, sondern als Teil eines wirkungsästhetischen Kalküls analysiert werden kann, das sich offensichtlich und dezidiert an den Hörer richtet und sich somit als Parallelphänomen etwa zu Giovanni Battista Albertis Architekturtheorien verstehen lässt. In einem zweiten Schritt soll darauf hingewiesen werden, dass vergleichbare zahlhafte Konzepte auch für Josquins spektakuläres Nachleben von Bedeutung waren, und zwar anhand kurzer Einblicke in die deutschen und italienischen Kontext unter Berücksichtigung wenig bekannter Zeugnisse u.a. aus der Feder Philipp Melanchthons und Gioseffo Zarlinos.
Die Mariencanzone (»Vergine bella«) ist mit ihren elf Strophen einer der längsten Texte aus Francesco Petrarcas Gedichtband Canzoniere. Beginnend mit Guillaume Dufays Vergene bella gab es mehrere Vertonungen einzelner Canzonenstrophen, bis 1548 Cipriano de Rores zyklische Vertonung erschien, wenn auch zunächst unvollständig. In den folgenden gut hundert Jahren entstanden weitere zyklische Vertonungen, von denen zehn erhalten sind (u.a. von Alfonso Ferrabosco Il Vecchio, Francesco Portinaro, Giovanni Matteo Asola, Giovanni Pierluigi da Palestrina und Ippolito Baccusi). Der Vortrag befasst sich mit der Frage, in welchem Verhältnis diese jüngeren Vertonungen zu dem mutmaßlichen Modell Cipriano de Rores stehen, dessen Kompositionen nach seinem Tode 1565 weiterhin nachgedruckt wurden und für viele jüngere Komponisten Vorbildcharakter hatten. Jeder Komponist, der in der fraglichen Zeit die Mariencanzone vertonte, kannte zum einen mit Sicherheit de Rores Vertonung und musste sich zum anderen daran messen lassen. Gibt es also in den jüngeren Vergine-Zyklen bewusste Bezugnahmen auf de Rore im Sinne einer imitatio und wie lassen sich diese von Stil- und Gattungskonventionen unterscheiden?
Heilsgeschichtliche Aspekte prägen die Musikanschauung und musikhistorischen Abhandlungen des Wolfenbütteler Hofkapellmeisters Michael Praetorius, der seinen Wahlspruch »Mihi patria coelum« (»Das Vaterland ist mir der Himmel») zum Künstlernamen machte. Sie sind auch ein Reflex einer besonders seit Luther als »gefehrlich« und »wunderlich« empfundenen Zeit – so Praetorius selbst, in der sich Prophezeiungen vom Weltende, Himmelserscheinungen und Naturkatastrophen verdichteten und den Eindruck verstärkten, das Jüngste Gericht stehe kurz bevor. Der Vortrag thematisiert anhand von Bekenntnissen und Selbstzeugnissen Praetorius’ spezifisch lutherisches Weltbild und setzt es mit ausgewählten musikalischen Werken und ihrer Aufführungs- und Widmungspraxis in Beziehung. Dabei sollen Impulse der jüngeren Forschung zu Konfessionskulturen der Frühen Neuzeit einen neuen Blick auf Praetorius werfen, dessen Werk und Leben in der Forschung nach wie vor von älteren Darstellungen und ihrem Bild einer erstarrten, national und religiös eingeengten lutherischen Orthodoxie bestimmt ist. Zugleich wird nach dem konfessionspolitischen Kontext seiner Werke gefragt, die er als Kapellmeister dreier einflussreicher, lutherischer Dienstherren in der Zeit kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg veröffentlichte.
Die Etablierung des Luthertums bedeutet für die kirchliche Musikpflege eine Reform, die einerseits Kontinuität zum vorreformatorischen Repertoire anstrebt und andererseits über theologische Anpassung von Textgrundlagen und Pflege zeitgenössischen protestantischen Repertoires eine Neuausrichtung ermöglicht. Legitimiert wird das lutherische Repertoire durch seine Verankerung in der musikalischen Tradition ebenso wie durch den Anspruch bibelgemäßen kulturellen Handelns. Das hierin deutlich werdende musikalische Traditionsverhalten und -verständnis der Lutheraner und die Funktion der Musik als Trägerin von Traditionsbindung und -konstruktion wird anhand von Falluntersuchungen zum lutherischen Repertoire im norddeutschen Raum diskutiert. Präskriptive und deskriptive Textquellen zur Musikpflege und zum Musikverständnis reflektieren das musikalische Selbstverständnis der Protestanten und zeigen ein bewusstes Traditionsverhalten durch das Medium der Musik. Dabei steht die Bedeutung der Musik als Element der Konstruktion von Tradition, das in Wechselwirkung zur theologischen und historiographischen Begründungen der neuen Konfession steht und autorisierende sowie identitätsstiftende Wirksamkeit entfaltet, im Fokus.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts ist im deutschsprachigen Raum ein Aufschwung in der Publikation von Büchern über den Musikunterricht zu beobachten. Das am meisten verbreitete Werk zu der Zeit scheint das »Compendiolum musicae« von Heinrich Faber (ca. 1548) zu sein, welches nicht so sehr durch seine Tiefe als durch die Organisation seines Inhalts bemerkenswert ist. Die grundsätzlichen Praecepta der Musik sind darin mittels eines genauen Plans erklärt, der eine Reflexion des Autors über die zunehmende Schwierigkeit der darzulegenden Kenntnisse zeigt. Die musikalischen Beispiele, die den didaktischen Inhalt begleiten, bilden andererseits einen wichtigen, bis jetzt wenig untersuchten Aspekt der Lehrbücher wie dem von Faber, oder der »Practica Musica« von Herrmann Finck (1556), einem noch ausführlicheren Werk. Der Vortrag soll offenlegen, dass diese didaktischen Beispiele nicht zufällig ausgewählt sind – ob es sich um Stücke aus dem Repertoire oder um originale Kompositionen handelt –, und dass sie eine dezidierte pädagogische Funktion erfüllen.
Fundamentum – mit diesem aus der Architektur entlehnten Begriff bezeichneten Organisten über 100 Jahre lang eine didaktische Praxis, durch die eine Transformation eines einstimmigen Gesanges – des cantus firmus – zur Mehrstimmigkeit gelehrt wurde. Anders als heutige Lehrkonzepte, bei denen die komplizierte »Wirklichkeit« anhand möglichst weniger abstrakter Regeln fassbar gemacht werden soll, verwenden die Fundamenta eine Vielzahl von Lehrbeispielen, die in sich geschlossene Sinneinheiten bilden, in der Summe aber ein breites Spektrum an (Lösungs-)Möglichkeiten bieten. Die musikwissenschaftliche Forschung sah in den zum Teil nur mit wenigen Über- und Beischriften versehenen Folgen von Exempla bisher vor allem eine ›Vorstufe‹ zum enzyklopädischen Traktat, wie er auf anderen musiktheoretischen Gebieten zu gleicher Zeit üblich war. Eine These dieser Arbeit ist, dass das Fragmentarische, das ›Unfertige‹ zum Wesen der Fundament-Didaktik gehört – und dass diese einer offenen, auf Zuwachs und individuelle Anpassung abzielenden Organisation unterliegt. Die Beispielsammlungen scheinen in der Summe ein Diagramm zu ergeben, das potenziell eine Vielzahl von dynamischen Erkenntnisprozessen in sich trägt. Als Teil einer Vermittlungsstrategie, die einen kundigen Lehrer erfordert, der die mannigfaltigen Erkenntnispotenziale erkennt und aus dem Material sinnvolle Lerneinheiten ableitet, geben die Fundamenta Einblick in die Konzepte ihrer Urheber. Eine Kontextualisierung vor dem Hintergrund anderer zeitgenössischer Lehrwerke – wie zum Beispiel zum Briefschreiben oder zur Gedächtniskunst – zeigt die Fundament-Didaktik als eines von zahlreichen Konzepten, bei dem diagrammatische Denkmuster die Verschriftlichung semiliterater Lehr- und Lernprozesse prägen.
Seit der Verpflichtung von sechs italienischen Musikern aus der Trienter Hofkapelle durch den jungen albertinischen Kurfürsten Moritz von Sachsen 1549 nimmt der Dresdner Hof im Hinblick auf die Rezeption italienischer Musik im mitteldeutschen Raum eine Schlüsselrolle ein. Von den einzelnen Phasen musikalischer Italianità, die sich an der Residenz in Dresden zwischen Interim und Beginn des Dreißigjährigen Krieges vollzogen, greift der vorliegende Beitrag zwei Teilmomente heraus: Aus einer vermehrt musikimmanenten Perspektive seien die italienisch- und deutschsprachigen Liederbände der ersten italienischen Hofkapellmeister in Dresden Antonio Scandello (1517–1580) und Giovanni Battista Pinello di Ghirardi (um 1544–1587) betrachtet. Komparatistische Zugriffe – die im Übrigen bis dato erst in Ansätzen getätigt wurden – sollen hierbei nicht nur kompositionstechnischen Individualisierungen in Bezug auf ein augenscheinlich typisiertes Repertoire, sondern auch eventuellen italienisch-deutschen Assimilierungs- und Überblendungsphänomenen auf die Spur kommen. Die musiksozialgeschichtliche Dimension der unbedingten Strahlkraft Italiens um 1600 sei im Zusammenhang mit den Studienaufenthalten, die Dresdner Musiker zu jener Zeit an der Hofkapelle der Medici in Florenz absolvierten, exemplifiziert.
Mittelalterliche Mehrstimmigkeit aus dem deutschsprachigen Gebiet wird in der musikwissenschaftlichen Forschung bis heute mit Begriffen wie rückständig, retrospektiv, atavistisch, primitiv oder altertümlich belegt. Die Begrifflichkeiten beschreiben den Rückfall in alte Muster, den Verfall von Ideen, die sich doch bis dato zu einer Blüte entwickelt hatten (so beispielsweise die frankoflämische Vokalpolyphonie), bis hin zu peripheren Auswüchsen, die in Chorherrenstiften und Klöstern verschiedener Orden in die Liturgie integriert wurden. Mit den genannten Aspekten geht offensichtlich in der Forschung die Auffassung einher, dass sich Untersuchungen des Repertoires und deren Kontextualisierungen nur wenig lohnen. In meinem Vortrag sollen daher folgende Fragestellungen genauer beleuchtet werden: Was beschreiben die oben genannten Begriffe überhaupt? Von welchen Geschichtsbildern oder Modellen gehen sie aus? Wie kann man der spätmittelalterlichen Mehrstimmigkeit trotz ihrer Etikettierung mit dem Konstrukt der Rückständigkeit gerecht werden? Und welche Stilistiken sind den mehrstimmigen Gesängen eigentlich eigen?
Ungeachtet der musikhistorischen Bedeutung Palestrinas mangelt es bis heute an einem wissenschaftlich fundierten, auf umfassender Quellenforschung gegründeten Werkverzeichnis, das als Basis für musikwissenschaftliche Studien unterschiedlichster Zielsetzung, aber auch als bibliographisches Hilfsmittel für die musikalische Aufführungspraxis dienen kann. Eine entscheidende Hürde stellte dabei in der Vergangenheit der große Umfang des von Palestrina hinterlassenen Œuvres und dessen weitverzweigte Quellenüberlieferung dar. Deshalb sollen in dem im Aufbau befindlichen Online-Verzeichnis der Werke Palestrinas zunächst alle relevanten bibliographischen Daten zu den ca. 800 musikalischen Werken – für die derzeit ca. 10.000 weltweit gestreute Quellennachweise vorliegen – mittels einer eigens entwickelten Datenbanksoftware erfasst, die Werke auf der Basis ihrer wichtigsten Quellen digitalisiert und einschließlich quellenspezifischer Lesarten (vom Programm automatisch ermittelt) visualisiert werden. Hinsichtlich der Quellen sind umfassende Dokumentationen und Beschreibungen abrufbar. Schließlich wird neben den üblichen Datenbank-Rechercheverfahren auch die Möglichkeit bestehen, in den erfassten Stimmen/Partituren in einem umfassenden Sinne nach musikalischen Parametern und strukturellen Zusammenhängen zu suchen, womit sich Schnittstellen zu weiteren Forschungsfeldern eröffnen.
Die Forschung geht heute im allgemeinen davon aus, die Gesänge Hildegards von Bingen (1098-1179) seien zumindest in ihren Heimatklöstern Disibodenberg und Rupertsberg in der Liturgie verwendet worden. Als Beleg für diese These gilt u. a. die Tatsache, dass die in den Handschriften als »Antiphona« bezeichneten Gesänge teilweise mit Psalmtonangaben versehen sind. Dabei gehören diese Angaben zu den instabilsten und rätselhaftesten Phänomenen der Überlieferung von Hildegards musikalischer Produktion. Eine eingehende Analyse und Kontextualisierung der Überlieferung führt zu dem Schluss, dass die Psalmtonangaben weniger auf eine gefestigte liturgische Praxis verweisen als vielmehr auf Redaktionsprozesse, die sich im Sinne einer Liturgisierung deuten lassen. Dies wirft die Frage nach den Prämissen dieser redaktionellen Vorgänge auf.
Die Schriften Anselmis haben wenig Beachtung in der Forschung gefunden. Einige Aufsätze zur musica mundana sind zu finden, aber vor allem dieses Thema zur Musik in Verbindung zur Naturphilosophie wurde vernachlässigt. Anselmis De musica wurde in drei Teilen verfasst. Der erste Teil, der sich mit der harmonia coelestis – d. h. mit der boethianischen musica mundana – beschäftigt, beginnt als eine Rede von der Naturphilosophie: Wie werden die Gewässer eines Thermbades geheizt? Nun stellen sich viele Fragen: Welche Rolle spielt die Naturphilosophie im musikalischen Denken des Anselmis? Wie geht er mit der damals vorherrschenden aristotelischen Ansicht der Naturphilosophie um, die sich gegen jegliche kosmische Harmonie gewehrt hatte? Bietet diese Schrift Anselmis Neuigkeiten im Anschluss zur damaligen Naturphilosophie und Entwicklung der Wissenschaften? Spielt die Magie – im Rahmen der Naturphilosophie – eine Rolle im Denken des Anselmis? Dies sind die leitenden Fragen meines Vortrages, der sich um eine philosophische Analyse des Begriffes musica mundana bemüht.
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts werden im Umfeld der Reformbewegungen der Augustiner Chorherren Text und Melodie der liturgischen Feier der Visitatio sepulchri neu kompiliert. Im Gegensatz zu den ältesten Überlieferungen der szenischen Darstellung des Quem queritis-Dialogs – wie etwa in den Regularis Concordia (entspr. Typ I) dargestellt –, fügt die neugestaltete Visitatio Typ II der bekannten narrativen Abfolge der Gesänge ein weiteres Element hinzu: Die neu kompilierten Gesänge werden so subtil mit überlieferten Chorälen kombiniert, dass eine spezifische Modusgestaltung ausgemacht werden kann, welche die Typ II-Visitatio im allgemeinen charakterisiert. Diese zunächst simple tonale Markierung erhält zusätzliche Bedeutung, wenn sie mit der Abfolge von liturgischen Gesten, figuralen Bewegungen und der theologischen Deutung der szenischen Darstellung verglichen und enggeführt wird. Der Aspekt des Performativen eröffnet dabei neue Wege, um die vielerforschte Visitatio Sepulchri auf paläographischer, musiktheoretischer sowie analytischer Ebene neu zu bewerten und die Ergebnisse für eine Diskussion des Aisthetischen zu öffnen.
Die Entwicklung und Anwendung computergestützter Methoden in der Renaissancemusikforschung erfordert vor allem auch eine maschinenlesbare Datengrundlage. Das hier vorgestellte Dissertationsprojekt »Computergestützte Quellenanalyse polyphoner Messordinarien. Verbreitungswege der Messkompositionen der frühen Handschriften des Fondo Capella Sistina« umfasst im Zuge der Methodenentwicklung nicht nur die Erarbeitung konkreter Analyseprozeduren, sondern schließt gezielt auch den Fragenkomplex der Erarbeitung einer maschinenlesbarer Datengrundlage ein. Dabei stellt insbesondere die Zielsetzung, Befunde anhand der spezifischen Lesarten von Quellenmaterial zu erarbeiten, eine spezielle Herausforderung dar, trifft doch hier die Ambiguität mensural notierter Polyphonie auf einen Formalisierungsanspruch, der grundlegend für den Einsatz digitaler und quantitativer Methoden ist. In die Problematik wird anhand konkreter Fallbeispiele eingeführt, um diese gezielt zu kontextualisieren.
Sebastian Virdungs Musica getutscht, gedruckt 1511 bei Michael Furter in Basel, ist laut Titel und Widmungsvorrede dediziert »zu eren dem hochwirdigen hochgebornen fürsten unnd herren«, dem Straßburger Bischof Wilhelm III. von Hohnstein, der mit Virdung auf dem Augsburger Reichstag 1510 in Kontakt getreten sei. Dieser Konnex – so wie aus anderen Perspektiven etwa auch die Wendung zur Vernakularsprache, die Wahl der näher behandelten Instrumente und die reiche Bildausstattung mit z.B. der auf einen höfischen Kontext weisenden Darstellung eines Lautenisten von Urs Graf – deutet auf eine höfisch-aristokratisch orientierte Zielgruppe der Schrift und lässt entsprechend nach Status und Funktion von Instrumenten und Instrumentalmusik in fürstlich-adeligen Kreisen um 1500 fragen. Mit näherem Blick auf Virdungs biographisches und prosopographisches Umfeld (insbesondere am Pfalzgrafenhof zu Heidelberg sowie der Umgebung Kaiser Maximilians) sollen daher Rolle und Implikationen der »instrumentischen musica« für den zweiten Stand erörtert werden, wobei insbesondere höfische Erziehungsschriften und Fürstenspiegel, aber auch die (spät-)mittelalterliche Heldendichtung und die höfische Literatur zu konsultieren sind.
Im frühen 20. Jahrhundert etablierte sich in der Musikwissenschaft für die Klassifikation von Liedtexten, Melodien und Liedsätzen des 16. Jahrhunderts ein dichotomes Denkmodell von Hofweise und Volkslied. Diese Einteilung ist bis heute beibehalten worden, obwohl mehrfach Bedenken sowohl an der Systematik als auch der Terminologie geäußert wurden. In diesem Vortrag wird nun ein neuartiges Klassifikationsmodell vorgestellt, das auf der Unterscheidung von drei Stilregistern beruht und darüber hinaus eine weitere Untergliederung zur detaillierten Erfassung des Repertoires bietet. Als Ausgangspunkt des Modells dient erstmals nicht ein isolierter Text oder eine Melodie, sondern die mehrstimmige Faktur des Satzes. Diese Perspektive ermöglicht einerseits eine Fokussierung auf die polyphone Ausgestaltung der Liedsätze und öffnet andererseits den Blick für die unterschiedlichen Optionen, die einem Komponisten offen standen, um auf neu geschaffene oder übernommene Melodien einzugehen. Besonders bei der Erschließung größerer Liedkorpora erweist sich die neue Klassifikation als ein effektives Instrument, was anhand verschiedener Beispiele präsentiert werden soll.
Der Vortrag widmet sich der polyphonen Musik für die Totenliturgie in Italien um 1600. Wenn wir versuchen, die Geschichte und Geographie dieses Repertoire zu rekonstruieren, finden wir eine oft widersprüchliche Situation, da offizielle Vorschriften und musikalische Praxis oft nicht miteinander übereinstimmen. Anhand überlieferter Quellen wie Caeremonialia, Festival Books, sowie Tagebüchern von Zeremonie-Meistern und – selbstverständlich – von Musikquellen, werde ich versuchen, ein komplexeres Verständnis der Präsenz (und Absenz) von polyphoner Musik während der Totenliturgie zu erreichen. Gleichzeitig wird auch die Problematik der aufgeführten Quellen deutlich werden.
Der Vortrag befasst sich mit ausgewählten Entwicklungsstationen früher Musikhistoriographie im 15. und 16. Jahrhundert. Ausgehend von der Frage, wie sich der Übergang von der mittelalterlichen zur frühneuzeitlichen Musikgeschichtsschreibung vollzogen hat, sollen verschiedene Konzepte der Diskursivierung musikhistorischen Wissens vorgestellt werden. Dabei gelangen zentrale Akteure Italiens und Mitteldeutschlands sowie Textgenres musikalischer Geschichtsschreibung in den Fokus der Betrachtung. Zudem sollen im Zuge eines Überblicks aktuelle Forschungsansätze diskutiert und Probleme der Differenzierung zwischen „alter“ und „neuer“ Musikgeschichtsschreibung analysiert werden.
Zu den bekanntesten und am weitesten verbreiteten polyphonen Magnificat-Vertonungen des 16. Jahrhunderts zählen die 8 bzw. 16 Vertonungen von Cristóbal de Morales. In den frühesten Quellen vor allem im italienischen Umfeld gedruckt und verbreitet und durch die päpstliche Tradition und Liturgie beeinflusst, werden sie in der gängigen Literatur dennoch überwiegend als ‚spanische Magnificats‘ bezeichnet. Aber was, außer der Herkunft des Komponisten, ist das ‚Spanische‘ in diesen Vertonungen?
Zur Beantwortung dieser Frage fokussiert sich der Vortrag auf Morales' spanischen Hintergrund und seine spanischen Vorbilder. In welcher Magnificattradition ist er aufgewachsen, was kannte er womöglich und lässt sich überhaupt eine typisch ‚spanische‘ Magnificattradition ausmachen? Der Fokus liegt dabei auf dem Repertoire und der Tradition in Sevilla, wo er vermutlich aufwuchs, sowie Ávila und Plasencia, wo Morales als Kapellmeister tätig war. Daher soll zunächst ein Überblick über das vorhandene Magnificatrepertoire gegeben werden. Eine detaillierte Analyse versucht anschließend die typisch ‚spanischen‘ Merkmale herauszuarbeiten und zu verdeutlichen.
Im San Lorenzo Palimpsest (Archivio Capitolare di San Lorenzo, Ms. 2211) – eine am Anfang des 15. Jahrhunderts in Florenz entstandene Sammlung italienischer und französischer Kompositionen – finden sich Unica der drei Trecentokomponisten Giovanni Mazzuoli († 1426), Piero Mazzuoli († 1430) und Ugolino da Orvieto († 1452). Ihnen wurden mittlerweile bestimmte Rollen in verschiedenen Geschichtsbildern zugesprochen, ohne dass eine intensive Untersuchung des Repertoires stattgefunden hätte. Hier setzt das Dissertationsprojekt an. Ziel ist die erstmalige Erschließung, Analyse und Kontextualisierung dieser noch unbekannten Kompositionen. Neben der Herausarbeitung verschiedener Stilelemente der Komponisten wird der Überlieferungsträger genauer untersucht, um neue Aussagen über Schreiber und Schreibprozesse treffen zu können. Zur besseren Kontextualisierung der Komponisten im Florentiner Musikleben werden zudem neu aufgefundene Dokumente ausgewertet, durch die sich insbesondere Giovanni und Piero als ausführende Musiker präziser an wichtigen Florentiner Institutionen verorten lassen. Im Vortrag werden anhand von Fallbeispielen Ergebnisse der Dissertation präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Als früheste und älteste Votiv-Messe ist das Requiem, Missa pro defunctis, nachweisbar. Sehr früh gehörte zur Messe der Gesang, der sich zunächst als einstimmiger, unbegleiteter Gesang der katholischen Liturgie, mit dem ersten polyphonen Requiem von Ockeghem Ende des 15. Jahrhunderts erstmals mehrstimmig präsentierte. Die den Rahmen bildenen Worte »Requiem aeternam« stellen den ältesten Teil des gesamten liturgischen Textes des Requiems dar. Sie haben ihren Ursprung in dem im 1. Jahrhundert nach Christus verfassten IV. Buch Esra.
Im Vortrag soll es um die vortridentinischen, polyphonen Introitus-Vertonungen gehen, die diese Worte beinhalten. Im Fokus steht dabei die Kontinuität, die diese Vertonungen textlich, aber auch musikalisch auszeichnet. Durch die stichprobenartige Analyse anhand bestimmter Parameter soll diese Konstanz belegt werden.
Die Musik des Minnesangs findet heute kaum Beachtung in der musikwissenschaftlichen Forschung. Einer der Gründe für diese akademische Vernachlässigung des deutschsprachigen Liedrepertoires des späten zwölften bis frühen vierzehnten Jahrhunderts ist die problematische Quellensituation; so verweisen Musikwissenschaftler immer wieder auf die fehlende Melodieüberlieferung zum Minnesang (z. B. der Artikel „Minnesang“ in NGrove). Um diese Lücke zu füllen, etablierten Musikwissenschaftler (vor allem Friedrich Gennrich) eine umfassende Kontrafaktur-Theorie, und argumentierten, dass die deutschen Minnesänger für ihre Melodien auf romanische Melodiemodelle zurückgegriffen hätten.
Der Vortrag beleuchtet die Alternativen zu solchen Vorgehen, in dem er sich mit einigen der existierenden Quellen zum Minnesang auseinandersetzt und sie auf ihre Musikalität hin untersucht—auch jenseits notierter Melodien. Dabei zeigt sich einerseits, dass durchaus Melodien zum Minnesang überliefert sind, die jedoch (aus unterschiedlichen Gründen) von der Forschung unbeachtet geblieben sind; und andererseits, dass auch nicht-notierte Minnesang-Quellen es verdienen, als genuin musikalische Quellen ernst genommen zu werden.
Scholars have observed that the extensive and systematic notation of Office hymn melodies at most European institutions took place after the mid-eleventh century (Boynton, 2003); yet the understanding of how Office hymns were taught and learned prior to that time remains vague, often insufficiently described solely with the nebulous phrase »oral transmission.« Although the work of Boynton and Gneuss has clearly shown that Office hymns were incorporated into pedagogical instruction, the mechanics of that instruction—the precise skills taught to students, and the role that written hymn texts, punctuation, and musical notation played in a pedagogical context—have not been thoroughly investigated.
By examining St. Gallen’s ninth-, tenth-, and eleventh-century documents containing hymn texts—not only liturgical hymnaries and breviaries, but also literary and pedagogical compilations—this presentation reconstructs the mechanics of the transmission of Office hymn melodies at the abbey of Sankt Gallen. The presentation also considers the scribal use of punctuation to provide musical information and the reasons behind the abbey’s relatively late notation of Office hymn melodies.
Betrachtet man signifikante Phasen der Musikpflege, die an den (insbesondere kurfürstlichen) Höfen des Hauses Wettin im 16. Jahrhundert praktiziert wurde, mit geschärftem Blick, so offenbart sich eine kontextuell vielfältige und quellentechnisch vergleichsweise gut belegbare Kontinuität an musikalischen Transferlinien aus Italien: Beispiele hierfür wären »italienische« Überlieferungskonstellationen in den Jenaer Chorbüchern Friedrichs des Weisen, der Einbezug von italienischen Anteilen kurfürstlicher Musikaliensammlungen in das Druckprogramm Georg Rhaws, die Rezeption leichterer italienischer Musik durch italienischstämmige Dresdner Hofkapellmeister (Antonio Scandello, Giovanni Battista Pinello di Ghirardi) sowie die Dreiecksbeziehung Florenz-Dresden-Prag in den Jahrzehnten um 1600.
Auf der Basis eines über enge institutionelle Kategorisierungen hinausgehenden Begriffes der Hofmusikpflege soll versucht werden, die Tragweite der Beziehungen wettinischer Höfe zur italienischen Musikkultur zu hinterfragen, zu vertiefen und vor einem breiten kulturhistorischen Hintergrund zu kontextualisieren, neue Quellen und wenig berührte höfische Umfelder (z.B. Weimar) zu erschließen sowie schlussendlich vernachlässigten bzw. unbekannten ästhetischen Diskursen im Hinblick auf eine frühe musikalische Italianità nachzugehen.
Im 11. und 12. Jahrhundert schlossen sich zahlreiche Klöster des deutschen Sprachgebiets der von Hirsau im Schwarzwald ausstrahlenden benediktinischen Reform an. Mit der Orientierung an den Hirsauer Gewohnheiten ging auch eine Übernahme der liturgischen Gesangspraxis des Schwarzwaldklosters einher, deren wesentliche Charakteristika seit den Forschungen Felix Heinzers zum Hirsauer Liber ordinarius, zu den Alleluia- und Responsorienreihen sowie zum Hymnar der Reformbewegung und den Studien Andreas Haugs und Lori Kruckenbergs zum Hirsauer Tropen- und Sequenzenbestand bekannt sind.
Die Rezeption des von Hirsau aus verbreiteten Repertoires an Gesängen bedeutete jedoch nicht unweigerlich auch den Verzicht auf die Ausbildung eines eigenen musikalisch-liturgischen Profils, die Preisgabe bereits bestehender lokalliturgischer Traditionen oder aber die Abkehr von neuen Entwicklungen im Bereich der Mess- und Offiziumsliturgie: Handschriften aus dem Reformkreis lassen neben den typischen Hirsauer »Fingerprints« (Kruckenberg) oft ganz eigene Prinzipien bei der Auswahl von Gesängen erkennen, die nicht selten lokale, regionale und überregionale Traditionen zusammenführen.
Aus dieser Perspektive soll im Vortrag die für das steirische Kloster Admont zu sichernde musikalische Überlieferung in den Blick genommen werden. Neben seiner Zugehörigkeit zum Hirsauer Reformnetz war Admont als Salzburger Eigenkloster fest verankert im Salzburger Diözesanverbund. Als österreichisches Subzentrum der Hirsauer Reform unterhielt es ferner enge Kontakte zu mehreren Klöstern der Kirchenprovinz, aber auch zu weiter entfernten Filiationen, darunter etwa Moggio im Patriarchat Aquileia. Wie wirkt sich diese spezifische Konstellation auf die in Admont etablierte liturgische Musikpraxis aus?
Im Zusammenhang mit den L’homme armé-Messen wird häufig von »der Vorlage« gesprochen, ohne dass berücksichtigt wird, dass es eine (einstimmige) Vorlage gar nicht gibt und die Melodie immer nur im polyphonen Kontext überliefert wurde. Die einzige Quelle, die eine vollständige Melodie-Version mit Text überliefert, ist das neapolitanische Manuskript MS VI E 40. Dragan Plamenac, der das besagte Manuskript 1925 entdeckte, vermutete, dass es eine frühere, mehrstimmige Version geben müsse. Die Entdeckung der dreistimmigen Doppelchanson »Il sera par vous/L’homme armé« (Mellon Chansonier fol. 44v und 45r) und ihrer vierstimmigen, untextierten Fassung (Casatanense MS 2856 fol. 156v und 157r) gilt oftmals als Bestätigung dieser These. Doch schon bei diesen beiden frühesten Stücken zeigt ein genauer Vergleich der Melodien, dass die Tenores der beiden Versionen des gleichen Stückes von den Melodieformen der frühesten Messen weiter entfernt sind als die Melodie im älteren neapolitanischen Manuskript.
Im Vortrag soll es darum gehen, den Extraktionsprozess aus der mehrstimmige Vorlage bzw. den mehrstimmigen Vorlagen nachzuverfolgen und zu untersuchen, wie verschiedene einstimmige »Vorlagen« entstehen, die oft deutlich voneinander abweichen. Das Ergebnis soll mit den diversen Vorlage-Versionen verglichen werden, von denen in der Fachliteratur ausgegangen wird, angefangen von Lexikoneinträgen bis hin zu Aufsätzen und kritischen Ausgaben.
Im Jahre 1600 legte der Leipziger Thomaskantor Sethus Calvisius seine Exercitationes musicae duae vor, deren zweiter Teil den Titel »De initio et progressu musices« trägt. In der Forschungsliteratur wird die Abhandlung häufig als Beginn der »modernen« Musikhistoriographie beschrieben, da hier (u.a.) erstmals der Versuch unternommen wird, mithilfe chronologischer Studien eine konsistente Entwicklungsgeschichte der Musik von ihren mythisch-biblischen Ursprüngen bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu rekonstruieren.
Der Vortrag möchte nicht nur die Anfänge des musikgeschichtlichen Schrifttums im mitteldeutschen Raum beleuchten, in dem Calvisius aufgrund seiner beruflichen Personalunion als Chronologe, Musikpädagoge und Historiker eine diskursstarke Stellung einnahm. Darüber hinaus sollen Calvisius’ musikhistoriographische Studien vor dem Hintergrund des im 16. Jahrhundert stetig wachsenden Schrifttums genuin lutherischer Universalgeschichtsschreibungen diskutiert werden, die maßgeblich zur Stiftung eines konfessionellen Identitätsbewusstseins beigetragen haben.
Calvisius’ Amtsantritt als Thomaskantor (1594) fiel in eine turbulente Zeit, in der Leipzig von mitunter blutigen Machtkämpfen zwischen den protestantischen Lagern der Lutheraner und der Kryptocalvinisten beherrscht wurde. Nachdem sich schließlich die Lutheraner in den auch politisch motivierten Konfessionskämpfen erfolgreich durchgesetzt hatten, konnte folglich nur ein linientreuer Vertreter im renommierten Amt des Thomaskantorats geduldet werden. Insofern sollen die Exercitationes von Calvisius nicht nur als potentieller Beitrag zu einer lutherisch inspirierten Geschichtskonstruktion, sondern auch vor dem Hintergrund der politisch wie konfessionell windungsreichen Machtkonflikte im Musikzentrum Leipzig diskutiert werden.
Das im 12. Jahrhundert in aquitanischen und normanno-sizilischen Quellen überlieferte »Neue Lied« zählt zu den signifikantesten Beständen der Musikgeschichte des Mittelalters. Erstens bedeutet die Verbindung oft hoch artifizieller rhythmischer Verse mit einer ihrerseits neuartig profilierten Melodik einen »liedgeschichtlichen Paradigmenwechsel« (Haug). Zweitens bilden die zweistimmigen Vertreter des »Neuen Liedes« einen der ersten umfangreichen Bestände mehrstimmiger Musik in praktischen Quellen. Dieser wurde – zunächst unter dem Schlagwort der »Schule von Saint Martial« – einer autonomen Geschichte der Mehrstimmigkeit zugeschlagen und dadurch forschungsgeschichtlich von den bis heute unedierten einstimmigen Repertoirebestandteilen tendenziell isoliert. Auf Basis der vollständigen Transkriptionen aller Hauptquellen des ein- und zweistimmigen »Neuen Liedes«, die im Rahmen des Editionsprojektes Corpus monodicum entstanden sind, ist es inzwischen möglich geworden, eine neue Perspektive auf die Relation des Verhältnisses von Ein- und Zweistimmigkeit im 12. Jahrhundert zu gewinnen.
Die von Wulf Arlt und Leo Treitler mehrfach mitgeteilte Beobachtung, dass die aquitanische Zweistimmigkeit in ihren melodischen Konventionen und ihrem Verhalten gegenüber dem Text aus der Einstimmigkeit komme und von dieser nicht kategorial verschieden sei, bestätigen erste Sondagen des vollständigen Materials auf breiter Front. Die geplante Studie widmet sich daher einer Analyse der textlich-musikalischen Gestaltungsmittel des Neuen Lieds, sowohl in der Einstimmigkeit als auch in der Zweistimmigkeit.
Dies verspricht nicht nur eine weitere Erschließung der reichen Gestaltungsmittel dieser neuen Einstimmigkeit, sondern auch die Korrektur eines primär aus der Musiktheorie gewonnenen Bildes der Geschichte der Mehrstimmigkeit im 12. Jahrhundert.
Die Domstadt Naumburg zählte zu den exponierten Schauplätzen der Reformation in Mitteldeutschland. Exponiert deshalb, da die Konfessionskultur der Saalestadt seit dem frühen 16. Jahrhundert vom Mit- und Gegeneinander einer protestantischen städtischen Gemeinde und eines altkirchlichen Domkapitels geprägt war. An diesem Zustand vermochte weder die 1542 auf kurfürstlichen Druck erfolgte Einsetzung Nikolaus‘ von Amsdorf als ersten protestantischen Bischof, noch die 1547 infolge des Schmalkaldischen Krieges vollzogene ›Rekatholisierung‹ des Bischofsamtes unter Julius von Pflug etwas Wesentliches zu ändern. Während hinsichtlich der liturgisch-musikalischen Praxis in der städtischen Kirche zu St. Wenzel schon 1527 mit einer dem lutherischen Modell nahestehenden Gottesdienstordnung klare Verhältnisse geschaffen wurden, bewirkte die besondere konfessionspolitische Situation, dass im Naumburger Dom protestantischer und altkirchlicher Kult eine aus moderner Sicht ungewöhnliche Melange bildeten.
Diese ist insofern nach ihren spezifischen Voraussetzungen und Konsequenzen zu befragen, da sie sich trotz hier und da aufbrechender Konflikte offenkundig als tragfähiges Modell erwies: Im Kirchenraum des Naumburger Doms erklangen noch im 19. Jahrhundert evangelische Kirchenlieder neben lateinischen liturgischen Gesängen.
Dieser Vortrag zeichnet die Entstehung dieser ›liturgisch-musikalischen Janusköpfigkeit‹ anhand zentraler Quellen der Naumburger Reformationsgeschichte nach. Dabei geht es in erster Instanz um die Gewinnung einer Perspektive, welche sich den mannigfaltigen Gestalten öffnet, die für das Zusammenspiel von Liturgie und Musik im Mitteldeutschland des 16. Jahrhundert nachweisbar sind. Nicht das konfessionelle Schwarz-Weiß, sondern die im komplexen Zusammenspiel regional- und reichspolitischer, aber auch kommunitaristischer und frömmigkeitskultureller Interessen entstandenen Grautöne sind es, die von der Peripherie des musikkulturellen Geschichtsbildes ins Zentrum eines neuen Forschungsinteresses gerückt werden sollen.
Our knowledge about the musical life in Spain ca. 1300-1350 has substantially increased throughout the last few years. A number of fragmentary sources recently discovered in Burgos, Sigüenza, Sevilla, Tarragona and elsewhere, transmitting Mozarabic prayers, conducti and hockets, reveal a much richer panorama than that limited only to the Las Huelgas Codex. In this session, David Catalunya will present some of these new sources contextualizing them in the theoretical background of the Barcelona treatise on mensural music.
A new concordance of one of the examples given by anonymous St. Emmeram treatise of 1279, hitherto unidentified, will be also explored.
During the early Italian wars from 1494–1515, French chapel singers often accompanied their patrons to war and participated in both routine devotion and triumphal celebrations. Polyphonic music that arose in these contexts has been sporadically preserved. Among this repertoire, no composer is better represented as a wartime composer of the French chapel than Jean Mouton, whose presence in the battle entourage of 1515 was attested in a letter from music copyist Jean Michel. This presentation looks closely at Mouton’s experiences and musical output in response to war and attempts to understand how his works, in particular the victory motet »Exalta regina Galliae« and the elevation motet »O salutaris hostia«, can be understood as wartime music. This analysis compares these works to a wide range of written and visual sources with military themes, which illustrate how these works would have been received within the broader milieu of wartime works surrounding the court of Francis I.
Die Parodiemessen über »Ecce nun benedicite« von Ludwig Daser und Orlando di Lasso basieren, so scheint es zunächst, auf einer gemeinsamen Vorlage, nämlich Dasers gleichnamiger Motette zu vier Stimmen aus der Mitte der 1550er-Jahre. Dasers hierüber komponierte, gleichfalls vierstimmige Messe wurde rund zehn Jahre später in das Münchner Chorbuch Mus.ms. 2746 ingrossiert, Lassos sechsstimmige Messe fand dagegen erst 20 Jahre später Eingang in das Repertoire der Münchner Hofkapelle. Zwar läge es nahe, in Lassos Messe schlicht eine Art von Ersatzkomposition zu vermuten, geht sie doch in ihrer Stimmenzahl, der Komplexität ihrer musikalischen Faktur und der Ausgestaltung mancher Schlüsselmomente deutlich über diejenige von Daser hinaus. Doch zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass Lasso mitnichten nur Dasers Motette, sondern in beträchtlichem Maße auch auf dessen Messe selbst rekurriert. Ausgehend von einigen analytischen Schlaglichtern werden anhand dieses kompositions- wie rezeptionsgeschichtlich komplexen Falles methodisch adäquate Zugriffe auf Parodien, Eigenparodien und auf deren kompositorische Weiterverarbeitung diskutiert.
Chapel master Franchinus Gaffurius supervised the making of four voluminous choirbooks for the musical chapel at Milan Cathedral, the epicentre of the Ambrosian Rite. However, many pieces within the Gaffurius codices correspond to the Roman Rite or blend characteristics of both rites. This study examines the unexplained ritual dualism in the Mass ordinary settings from various liturgical perspectives, including institutional and ritual history, as well as codicological, textual and musical analyses. It suggests that this polyphony served as an additional layer to the liturgy to promote devotion and offers pragmatic explanations for the apparent ritual contradictions. Additionally, this study analyses the relationship between music and text in the rarely studied Mass ordinary settings of Gaffurius, some of which are autographs. It reveals his compositions as musical exegeses of their text through contrapuntal techniques, text omissions, and structural divisions. Although the specific Milanese context requires tailored methods, the results contribute to our general understanding of polyphonic Mass settings as a medium of text and devotion in the Renaissance.
Die Entwicklung von computergestützten Werkzeugen für die Musikanalyse begann bereits in den 1960er Jahren und hat in den letzten zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Heute stehen uns zahlreiche Werkzeuge zur Verfügung. Umfassende Kodierungsformate ermöglichen es uns, über die eigentliche Musiknotation hinausgehende Informationen und Metadaten in die Werkzeuge einzuspeisen. In den letzten Jahren ist auch die Musik, die nicht in der üblichen westlichen Musiknotation geschrieben ist, zu einem Schwerpunkt der digitalen Musikwissenschaft geworden. Dieser Beitrag versucht, aktuelle computergestützte Ansätze mit traditionellen, manuellen Ansätzen zu kombinieren, indem verschiedene Werkzeuge und Kodierungsstrategien verwendet werden. Das Hauptmaterial stammt aus den Manuskripten D-Mbs Mus. ms. 1512 und D-B Mus. ms. 40632. Der Fokus liegt dabei darauf, kleine, aber relevante Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der geschriebenen Musik aufzuspüren. Das Ziel ist es, mögliche computergestützte Herangehensweisen an einen Korpus vorzustellen, um Fragen zur Musik und ihrem Kontext anhand großer Korpora zu beantworten.
Der Vortrag widmet sich dem vielgestaltigen Phänomen der Musik über eigene Musik am Beispiel des frühneuzeitlichen Messordinariums. Im Zeitraum zwischen dem frühen 15. und frühen 17. Jahrhundert finden sich gut 130 Messvertonungen, denen Komponisten ihre eigene – mal weltliche, mal geistliche – Musik zugrunde gelegt haben. Hinsichtlich der für den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen künstlerischen Schaffensprozess konstitutiven Begriffskonstellation von »materia« und »artificium« bedeutet dies eine Verschiebung kompositorischer Selbstverortung – eine mindestens ästhetische, durchaus aber auch historisch perspektivierte Aufwertung des eigenen Schaffens. Kompositorische Selbstbewertung rangiert, wie es scheint, in diesen Fällen nicht kategorisch hinter der autoritativen Geltung tradierter Choralvorlagen. Das Schaffen des Komponisten erhält so – mithin explizit – selbstreferentiellen und -validierenden Charakter. In einer Verknüpfung musik- und literaturwissenschaftlicher Ansätze sollen ausgewählte Beispiele zunächst in ihrem textuellen Verhältnis zu ihrer Vorlage analytischer Betrachtung unterzogen werden, um sodann in einem zweiten Schritt mithilfe translationswissenschaftlicher Konzepte wie denen des Übersetzens und Wiedererzählens auf Muster und Strategien musikalischer Autorezeption hin geprüft zu werden. Dergestalt soll ein Zugang zum frühneuzeitlichen Komponieren gefunden werden, der Ideen musikalischer Autorschaft und künstlerischer Selbstverortung nachspürt.
Bereits mit der Planung und Entstehung der memorialkulturellen Monumente zu Lebzeiten Kaiser Maximilians I., die uns heute unter dem Begriff »Gedechtnus« bekannt sind, setzt eine Mythologisierung der Person Maximilians ein, die selbst Jahrhunderte nach dessen Tod noch immer Bestand hat. Die in diesen Werken auffällige Marienfrömmigkeit wird dabei heute in der Forschung traditionellerweise als Phänomen der Zeit abgetan und auf Maximilians Todeskult und ausgeprägte Sorge um das eigene Seelenheil reduziert. In jüngerer Zeit sind jedoch zahlreiche Arbeiten in verschiedenen Fachdisziplinen erschienen, die diese (Marien-)Frömmigkeit nunmehr weniger als private Neigung, sondern als kollektive Praxis betrachten. Sie, die Marienfrömmigkeit, wird in einem komplexen Netzwerk, das sich um Maximilian spinnt, kreiert, politisch instrumentalisiert, zu Memoriazwecken genutzt und manifestiert sich u. a. musikalisch. Dies These soll anhand des Motettendrucks, dem »Liber selectarum cantionum« (Augsburg 1520), fruchtbargemacht werden: Es besteht die Vermutung, dass der »Liber selectarum cantionum« – mit Blick auf das Repertoire, das Entstehungsumfeld und die beteiligten Mitgestalter und Unterstützer – neben der Absicht der Machtsicherung der Habsburger, vor allem das Seelenheil des jüngst verstorbenen Kaisers sowie aller am Druck beteiligten Personen verfolgt.
Der mittelalterliche Codex bildet eine bedeutende Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis des Gregorianischen Chorals, dessen Verschriftung einer vorherigen Durchdringung und Systematisierung bedurfte. Vor der Verschriftung stand damit ein Objektivierungsprozess des Gegenstandes. Unterschiede in Abschriften deuten auf ein musikalisches Konzept des Schreibers. Die möglichen Intentionen in der Wiederverfügbarmachung von Erinnerung an ein Repertoire und der Schaffung einer Kontrollinstanz für das zu Singende kann mitunter anhand von Einzelfällen ebenso eruiert werden wie eine weitreichendere konzeptuelle Rückbindung: Welche theoretischen Prozesse mögen der Anfertigung von Handschriften vorausgegangen sein? Welche derartigen Prozesse lassen sich in überlieferten Zeugnissen ablesen? Anhand von vier adiastematischen Handschriften unterschiedlicher Provenienz, die bislang von der Neumenforschung unbeachtet bleiben mussten, werden Rückschlüsse auf die musiktheoretischen Konzepte der Schreiber bzw. der Kantoren gezogen. Diese Handschriften der so genannten Berlinka-Sammlung waren während des Zweiten Weltkriegs ausgelagert worden, galten lange Zeit als verloren und sind unlängst wiedergefunden worden.
Wie zuletzt Nicole Schwindt und Esther Dubke in Studien zur Musik am Hof des römisch-deutschen Kaisers Maximillians I. (2012ff.) sowie zur Wittelsbacher Kantorei um Orlando di Lasso (2021) gezeigt haben, herrschen an frühneuzeitlichen Musikinstitutionen bisweilen Werkstatt-ähnliche Produktionsbedingungen. Gerade im Umfeld von Hofkapellen mit hohen Produktionsfrequenzen scheinen – analog zu den Malerwerkstätten der Renaissance – mehrere Individuen im Verbund gearbeitet und komponiert zu haben. Im Vortrag sollen anhand ausgewählter Institutionen aus dem deutsch- und italienischsprachigen Raum zunächst verschiedene Motivationen und Modelle gemeinschaftlichen Komponierens vom späten 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert erörtert werden. Dabei rückt die Kategorie musikalischer Autorschaft in den Fokus, die für die frühe Neuzeit als dynamisches Phänomen und mithin als miteinander geteilte Praxis aufgefasst wird. In einem zweiten Schritt sollen sodann Arbeitsquellen vorgestellt werden, in denen sich proto-schöpferische Aktionen als gemeinsame Lern- und Übungserfahrungen mehrerer Schreiber dokumentieren. Ziel ist, Praktiken des geteilten Arbeitens an Musik nachzuspüren, die Komponisten sowohl für eigene Arbeiten als auch für Kollaborationen produktiv machen konnten.
Since Gustave Reese’s »Music in the Renaissance« (1954), a nebulous collection of musicians active in the period between Josquin and Palestrina has been pejoratively characterized as the »post-Josquin« generation. To begin with, this grouping is incorrect: composers such as Adrian Willaert, Nicolas Gombert, and Clemens non Papa have been inappropriately lumped together not based on their periods of compositional activity, but because they died around the same time. More problematically, fuzzy understanding of seminal musical sources from the 1520s and limited information about composer biographies have made it difficult to assess when a new style of composition emerged, of what this style is made, and who was responsible for its development. Notwithstanding recent studies by scholars such as Bernadette Nelson, Joshua Rifkin, and Julie Cumming that offer invaluable biographical revisions as well as elucidations of central genres, a full and up-to-date stylistic picture for the years 1515–55 has yet to be assembled. Coining the term »The Imitation Generation« to reflect the centrality of the new technique of pervading imitation, I argue in my dissertation that musical sources produced between 1519 and 1529 evince a multifaceted stylistic shift led by Costanzo Festa, Jean Richafort, Noel Bauldeweyn, Philippe Verdelot, and Willaert. These composers’ works feature new combinations of existing stylistic techniques, including a pervasively imitative texture, the almost exclusive use of Cut-C mensuration, harmonic rhythm at the level of the minim, and a preference for five and six functional voices. I further suggest that Willaert’s Verbum bonum et suave, which circulated as early as 1515, represents a proverbial shot across the bow: much like Josquin’s Ave Maria… virgo serena, this watershed of a motet anticipates the new stylistic paradigm by as much as a decade. Tracing the origins of the Imitation Generation reveals a tendency in our music histories to marginalize “difficult” music, and invites us to engage more empathetically with the positive evaluations these repertories received in their own time.
Das Phänomen des sogenannten liturgischen Dramas, das im neunten Jahrhundert seinen Anfang nahm und besonders im zwölften Jahrhundert eine Blütephase der Produktivität und Erweiterung erlebte, wird in der interdisziplinären Forschung schon seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Dabei lag der Fokus insbesondere der früheren Beiträge darauf, das liturgische Drama als aus dem Gottesdienst entwickelte frühe Theatergattung zu verstehen. Weniger aber wurde die rituelle Funktion der Texte erörtert – und wenn, dann meist ohne tiefergehende Betrachtung der Melodie. Dabei zeigt sich bei genauerer Untersuchung beispielsweise der Osterfeiern eine Fülle an Funktionen und ausschöpfbaren Potentialen: Textlich und musikalisch an die reguläre Liturgie angebunden, eröffnen sie als Tropus einen Raum im Gottesdienst, in welchem durch Visualisierung der gefeierten biblischen Erzählungen eben diese Narrative für die Gemeinde belebt werden und ihre Gemeinschaft im Bekenntnis stiften. Der essentielle Unterschied zwischen liturgischem Drama und regulärer Liturgie besteht dabei in der narrativen Anordnung der Handlungen, die im Gegensatz zur Messhandlung eine „Szene“ im weiteren Sinne entstehen lässt. Während die meisten Feiern, so vor allem die Osterfeiern, jedoch eine klare Verbindung zu Liturgie und theologischem Kontext des Kirchenjahres aufweisen, geben einige Stücke vor diesem Hintergrund in ihrer Hermeneutik Rätsel auf. Das bekannteste von ihnen mag der Sponsus sein, der in Handschrift F-Pbn lat. 1139 als Teil des aquitanischen Tropenrepertoires von St. Martial niedergeschrieben wurde. Zugrunde liegt das Gleichnis Jesu‘ von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25, 1–13), das sich im Gegensatz zu den offensichtlichen Osterfeiern nicht unmittelbar in einen bestimmten liturgischen Kontext einbinden lässt. Das führte dazu, dass der Text als Beispiel für eine – wenn auch nicht abseits jeglicher zeremonieller Bedeutung – vom Gottesdienst gelöste Theaterform dargestellt wurde. Die rituelle Bewertung des liturgischen Dramas als Phänomen aber lässt an dieser Einordnung zweifeln, vor allem auch aufgrund der engen Beziehungen zur klar gottesdienstlich verordneten Osterfeier LOO 823 aus Vic. Daher soll im Kolloquiumsbeitrag eine neue Interpretation des Sponsus versucht werden. Dafür wird zuerst das Phänomen und die Hermeneutik des liturgischen Dramas als theatrales – oder besser narratives – Ritual in aller Kürze erläutert und dann für den Sponsus überprüft werden. Im Zentrum steht dabei die Frage nach ritueller Verortung und Funktion des Sponsus besonders im Hinblick auf die textlich-musikalischen Merkmale sowie die sich daraus ergebenden Probleme der performativen Umsetzung. Hierfür werden vereinzelt Aspekte aus der praktischen performativen Arbeit als Ergänzungen einbezogen, die einem Aufführungsprojekt im Kontext einer Kooperation von Schola Cantorum Basiliensis und Stadttheater Basel entsprangen. Ziel dessen wird vor allem die Neuüberlegung des Theatralen im liturgischen Drama sein. Der Beitrag soll also ein rituelles Verständnis des Sponsus als narrativ-theatraler Form von Gottesdienst untermauern und so einen neuen Zugang zu den nicht offensichtlich an die Liturgie angebundenen liturgischen Dramen anbieten.
Im Vortrag wird zum ersten Mal die bis jetzt nicht erforschte Leipziger Tabulatur für Tasteninstrumente D-LEm, I.191 vorgestellt. Die Recherche zeigt, dass das Unikat sich audf das Ende der 1530er oder in die 1540er Jahre datieren lässt. Es stammt aus Mitteldeutschland (Ost, ev. Leipzig) und ist somit das einzige erhaltene Exemplar eines Tastenmusik-Notats im mitteldeutschen Raum vor dem Tabulatur-Druck von Elias Nicolaus Ammerbach (Leipzig, 1571). Die Handschrift bietet außerdem eine seltene Möglichkeit, bürgerliche bzw. städtische Schulpraxis in der Instrumentalmusik vor 1550 zu verfolgen. Das Manuskript wird zuerst im musikgeschichtlichen und aufführungspraktischen Kontext des 16. Jahrhunderts verortet: Die Tabulatur wurde noch im 16. Jahrhundert mit zwei Drucken von Martin Agricola – »Ein kurtz deudsche musica« [1528] und »Musica intrumentalis deudsch« 1529 – zusammengebunden. Sie ist ein Übungsheft zu damals bekannten instrumentalen Lehren (Agricola, Virdung, Schlick); zugleich transferiert und adaptiert sie die Erfahrung der Orgeltabulaturen von Kotter, Kleber, Buchner und Lublin. Es zeigt sich das Spezifikum des Manuskriptes D-LEm, I.191 als mitteldeutscher Quelle einerseits und der Transfer von südlichen Praktiken andererseits. Es werden Fragen zu sozialer Verortung der Tabulatur D-LEm, I.191 und ihrer Didaktik diskutiert: Welche Vorkenntnisse sollte der Schüler haben, um das Manuskript nutzen zu können? Auf welche Praktiken stützte sich der Schreiber selbst? Wie ging der Schreiber mit dem gedruckten Lehrbuch um? Weiterhin wird ein Blick in die Sammlung und die Schriften Carl Ferdinand Beckers geworfen, mit dem Ziel, die Rolle des Manuskripts D-LEm, I.191 in Beckers Sammlung aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts zu klären.
Schon die Editoren von Orlando di Lassos Messen im Rahmen der Neuen Reihe sahen sich bei einigen Zyklen mit der Schwierigkeit einer eindeutigen Zuschreibung konfrontiert: Selbst wenn sich das Problem einer gesicherten Autorschaft von anonym überlieferten Werken bei Lasso aufgrund häufiger Parallelquellen als vergleichbar gering darstellte, verblieb doch ein Restbestand, der begründete Zweifel an seiner kompositorischen Urheberschaft bestehen ließ. Gerade das Phänomen der Mehrfachzuschreibung – die Überlieferung einer Komposition unter verschiedenen Namen beziehungsweise mit nachträglicher Tilgung und/oder Überschreibung eines ursprünglich angegebenen Komponistennamens in unterschiedlichen Handschriften und/oder Drucken – nötigte den Herausgebern eine Festlegung auf die eine oder andere Autorschaft ab. Bei der Entscheidungsfindung galt es, »anhand der Besonderheiten der Überlieferung jeweils die Zuweisung nachzuprüfen und neben dem diplomatischen Befund vor allem die Qualität der Musik selbst als Kriterium mit heranzuziehen.« Die Musikgeschichtsschreibung hat bereits mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten unter Beweis gestellt, dass die ›Zuschreibung an‹ beziehungsweise die ›Abkehr von‹ einem bestimmten Komponisten anhand stilkritischer Untersuchungen stets ein wenig verlässliches und riskantes Analysemanöver ist, dass jederzeit durch neue, eindeutige Quellenfunde an seiner zwangsläufig nachfolgenden Kritik zu scheitern droht. In diesem Vortrag wird daher der Versuch unternommen, den Überlieferungsbefund der Mehrfachzuschreibung für einen neuen Interpretationskurs fruchtbar zu machen. Indem Traditionslinien im Münchner Messenrepertoire mit Blick auf die Textunterlegung, Tonarten und Mensurverhältnisse nachgezeichnet werden, kann ein Gattungsprofil von Lassos Kompositionsbeiträgen skizziert werden, das stets zwischen Konventionalität und Neuordnung vermittelt und gleichermaßen Stereotype wie deren Variationsmöglichkeiten vorgibt. Damit rücken die Organisationsmechanismen der Wittelsbacher Kantorei ins Blickfeld einer systemorientierten Untersuchung. Die personelle Aufstellung der Hofkapelle und die Repertoiregenese der bayerischen Hofkapelle sind vergleichbar mit den produktiven Bedingungen in den zahlreichen Malerwerkstätten der Renaissance und eröffnen neue Perspektiven auf Kompositionsprozesse im 16. Jahrhundert.
The phenomenon of plainsong masses, those polyphonic masses based on chants corresponding to the mass of a certain day or feast such as Missae paschalis, Missae dominicalis etc. still lacks a comprehensive overview. So far, studies have been conducted on individual masses and on groups of the same subtype as the Missae de beata virgine or the vast number of Heinrich Isaac’s musical settings of ordinary and proper chants. Similarly, the Missae de feria have not attracted attention aside from a first overview by Andrew Weaver. Based on his findings that the ferial masses can be grouped in distinct “families” – each characterised by stylistic uniformity and musical interconnections – I will focus on the cluster of Roman masses. These include the ferial masses by Johannes Martini, Andreas Michot and Johannes Beausseron as well as an anonymous mass cycle, preserved in the Sistine choirbooks CS 35, CS 55 and CS 63. Richard Sherr once drew attention to the fact that these very manuscripts also include some extraordinary settings of the Ash Wednesday tract Domine non secundum and suggested a liturgical-functional link to the Missae de feria. Following this trace in examining the chant models as well as the codicological, liturgical and musical connections between the Roman ferial masses and the aforementioned tract, I will provide a more precise perception of Missae de feria at the beginning of the sixteenth century.
The island of Crete was one of the most important dominions of the Republic of Venice. Despite the long-lasting Venetian rule, from 1211 to 1699, a process of cultural intermingling between Italian and Greek culture came to fruition at a very late stage. Indeed, only from the second half of the fifteenth century, contacts between the Venetian and the Cretan populations resolved into a successful coexistence and cultural and religious hybridisation. Rooted in the Italian Humanism as well as in the Byzantine world, the Cretan society knew an impressive cultural and artistic flourishing, commonly labelled as Cretan Renaissance. So far, scholars from different fields have investigated the question of the Cretan identity mostly in the artistic and literal production (Holton, Panagiotakis, Vincent), and only a limited attention has been paid to the complex soundworld emerging from the same literal, artistic and documentary sources. This paper aims to discuss the role played by music and sound in shaping the identities of venetian-greek urban intellectuals, focusing in particular on the local reception of western musical practice and theory. Indeed, western music, mostly Italian, played a crucial role in everyday life of Cretan cities, from liturgy, to incidental music for greek theatrical plays, and even in the philosophical discourse of the local accademie As case study, I will consider the presence of music in the Greek chivalric poem Erotokritos, written at the end of the Sixteenth century, by the venetian-greek nobleman Vintsentzos Kornaros. In the poem, the main character of Erotokritos, a young knight, scholar and, most importantly, refined singer and song composers, epitomises the ideal Cretan intellectual. Furthermore, following a model derived from the Italian humanism and Neo-Platonism, music and voice are the most precious skills of Erotokritos, strongly connoted with magical and orphic features. Finally, my analysis will offer a comprehensive framing of the musical scenes of the poem, in the context of the local music making, with the final aim to understand the role played by western musical aesthetics and practice in the multicultural society of Venetian Crete.
Matteo da Perugia occupies a place of relevance in the late Ars Nova repertoire, a phase of music history in which the composition of vocal polyphony experiences a definite shift in language and expression, opening to new models, aesthetic currents and techniques. Although archival evidence on the composer is scant —he has been traced to the Visconti circles of Milan and Pavia from the beginning of the 15th century until the 1420s— dozens of pieces attributed to him survive in the famous Modena codex and in other fragments now in Europe and the US. Thus, Matteo's exceptional amount of surviving secular works —settings of French fixed forms and two Italian ballate — enable us to make stylistic considerations from an authorial perspective. This paper will discuss Matteo da Perugia's compositional choices based on a large-scale analysis of metrical, stylistic, intertextual, and linguistic features of the lyrics that he set to music. New interpretations of the often obscure meaning of such texts and their literary quality will be offered, and observations will be made on the composer's musical attitude towards form, rhyme, hemistich division, enjambement, and refrain. Intertextual procedures that link Matteo's poetic, melodic and contrapuntal material to other works present in the same codex strengthen the hypothesis that he may have known and assimilated at least part of the Modena repertoire during his career. Moreover, newly found codicological evidence will throw light on scribal practices regarding text and music transcription.
Self-representation of political power and the patronage of the arts have been a pinnacle of personal rule during the Renaissance era. The court of Margarethe of Austria (1480–1530), which she established in Mechelen as the governor of the Habsburg-Burgundian domain, is no exception to this. She presented herself in public as a widow and combined the shrewdness of her political actions with a very palpable Marian devotion to legitimize her rule. Together with her succession in this specific territory, Margarethe also inherited one of the most famous and renowned chapels in whole Europe – the Burgundian Grande Chappelle – and with it a considerable number of proficient composers, out of which Pierre de la Rue was the most productive. The investigation of this connection in between politics and music at court seems to be a missing link both in (music) history as well as in the field of institutional history in particular. In my presentation, I want to highlight these ramifications in between political (self)representation and musical composition as a support of the political claim through music. I intend to discuss different methods to approach this task, study of archive materials, codicological research and the liturgical context will be very important points to gain further knowledge on the emphasised subject. Apart from the service, music also serves as a major aspect for illustrating the worldly matters of representation at the court. Furthermore, I want to raise the question how the politic agenda is reflected in the music itself and if it is possible to prove this interdependency even in the compositions themselves. Thirteen out of the thirty-two masses of La Rue display a conjunction to Mary or Marian topoi, he was the first composer to write the whole Magnificat cycle in all eight toni and he wrote six Regina coeli motets which contain a third of all his motet compositions. Thus, the quality and sheer quantity of these works make a connection in between composer and the political imagination of Marian devotion of the court plausible. I intend to take the cycle of the Magnificat as an example of this link in between the special Marian devotion of Margarethe and La Rue’s compositional prowess.
Sebastian Virdungs »Musica getutscht« von 1511 steht als erste deutschsprachige Druckschrift, die sich mit Instrumenten und instrumentalmusikalischer Notation auseinandersetzt, keineswegs voraussetzungslos an der Wende vom 15. ins 16. Jahrhundert, sondern stützt sich auf ein dichtes Bündel an Diskurstraditionen, fügt sich in ein facettenreiches Panorama vielfältiger Kontexte. Der Vortrag fokussiert dabei auf die medien- und kommunikationshistorischen Horizonte, vor denen Virdungs Schrift zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit einzuordnen ist. Mit Blick speziell auf den Druckort Basel und Virdungs Druckerverleger Michael Furter (sowie vergleichend mit den für Virdung ebenso wichtigen Zentren Augsburg und Straßburg) rücken dabei die Texttypen vernakularer Fachprosa ebenso in den Blick wie speziell das musiktheoretische Schrifttum und der Notendruck, aber auch die deutschsprachige theologische Druckproduktion der Zeit. Nicht zuletzt die Visualisierung, Bebilderung und graphische Ausstattung ist – verglichen mit anderen, benachbarten Publikationen – in mehrfacher Hinsicht signifikant.
Im interdisziplinären Forschungsvorhaben geht es darum, die ikonografischen Quellen von Hackbrett, Psalterium sowie der Hybridform Harfenpsalterium im Alpen-Adria-Raum zu untersuchen. In einem ersten Arbeitsschritt erfolgt die Dokumentation der Instrumentendarstellungen bei Wandmalerei, Tafelmalerei und Skulptur innerhalb des sakralen Umfeldes zwischen 1320 und 1530. Ziel dabei ist die Anfertigung eines detaillierten Bildkataloges samt ikonografischer Beschreibung und Lageplan jeder Quelle. Auf Grund dieses Ausgangsmateriales ist es sodann möglich, weiterführende Fragestellungen mittels diskursiver Betrachtung zu behandeln: Zunächst erfolgt die Analyse der drei Instrumententypen hinsichtlich deren Organologie und Spielweise. Dabei wird auch der Spezialfall »Bild als Quelle« und die daraus entstehende Problematik der Relation von Realität und Symbolik thematisiert. Beim anschließenden Vergleich kommen musikwissenschaftliche, kunstgeschichtliche und theologische Inhalte gleichermaßen zum Tragen: Hier werden Aspekte zu Musizierfiguren und deren Erscheinungsbildern, zur Umsetzbarkeit einer möglicherweise reellen Aufführungspraxis, zur quantitativen Gewichtung der Kunstgeschichte-Gattungen, zum zeitlichen Verlauf des Vorkommnisses der Instrumententypen, die ikonografischen Themen vorhandener Sujets mit Musikbezug, sowie Fragen zur Quellenplatzierung innerhalb der Gesamtarchitektur erörtert. Zuletzt wird der Kontext innerhalb des Forschungsraumes beleuchtet, wobei zu fragen ist, ob die Chordophone als verbindendes Instrument im Alpen-Adria-Raum angesehen werden können.
Always a borderland territory, Silesia was a meeting point for different ethnic groups, cultures, and confessions. Tolerance between the Lutheran and Catholic parties existed side by side with confessional conflicts within the Evangelical church. Notwithstanding its multicultural and multiconfessional character, Silesia developed a strong territorial and ideological cohesion. This peculiar situation influenced artistic practices, among them music. In my contribution, I will focus on the Lutheran hymnbook »Ein Schlesich [!] singebüchlein«, published in Wrocław in 1555. Curiously, the hymnbook avoids the usual ›Lutheran‹ hymn repertoire, and instead relies on a more peculiar and markedly retrospective repertoire. I will argue that the characteristics of the hymnbook’s paratexts and content are representative of a specific Silesian ›regionalism‹ (intended as regional consciousness), and they mirror the theological debate within the Silesian evangelical church. Analysis of the polyphonic hymns will also serve to address the reasons behind the survival of ›archaic‹ repertoires (a common phenomenon also in other central European regions), the ways of their circulation beyond borders and confessions, and their role in shaping religious and regional identities.
Die 138 Quellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die mindestens eines von Moralesʼ polyphonen Magnificat enthalten, belegen ihre Sonderstellung. Mit Hilfe der zeitgenössischen Musiktheorien, der Magnificat-Vertonungen seiner Vorgänger in Spanien und Rom (u. a. Francisco de Peñalosa, Constanzo Festa und Carpentras), sowie seiner Nachfolger in Spanien, Italien und im protestantischen Umfeld (u. a. Francisco Guerrero, Tomás Luis de Victoria, Palestrina und Johann Walter) wurde untersucht, wodurch sich Moralesʼ Magnificat auszeichnen. Die Analysen haben gezeigt, dass Morales durchaus als Begründer einer »Magnificat-Tradition« gelten kann, die sich auf konkrete Vorgehen und Merkmale bezieht, die sich auch in der nachfolgenden Generation durchsetzt. Zugleich ist es gelungen Morales in ein neues Licht zu rücken und seine Bedeutung für die Musikgeschichtsschreibung, als wichtige Verbindung zwischen der Josquin- und der Palestrina-Generation, aufzuwerten und zu bestätigen. Der Vortrag will eine Auswahl der Ergebnisse darstellen und ein erstes Fazit formulieren.
Mit Errichtung der albertinischen Fürstenschulen 1543–1550 und den Reformen im Umfeld der Kirchen- und Schulordnung von 1580 wurde die Ausbildung des kursächsischen Schul- und Kirchenpersonals nachhaltig systematisiert. In einer Zeit, in der musikalische Kompetenz nicht über eine Fachausbildung, sondern an (höheren) Lateinschulen erworben wurde, drängt sich ein Zusammenhang zwischen landesherrlich forciertem Ausbildungsbetrieb und der ab ca. 1575 greifbaren reichen Figuralmusikkultur Mitteldeutschlands förmlich auf. Unterstreichen schon die Tätigkeiten Cornelius Freundts, Christoph Nostwitzs, oder Christoph Demantius an den Gymnasien zu Zwickau, Löbau, Zittau und Freiberg die Rolle der Gymnasien für die mitteldeutsche Musikpflege und produktion, so soll im Vortrag der Wirkungsradius der Fürstenschüler (und ihrer Kantoren) bestimmt und mit Befunden der Figuralmusiküberlieferung abgeglichen werden.
Im Diözesanarchiv Köln, genauer gesagt im Bestand Hardenrath, befinden sich zwei handschriftliche Chorbücher des späten 16. bis frühen 17. Jahrhunderts: Sie stammen aus Prag und gelangten als Teil des Nachlasses von Jacob Chimarrhaeus (Elemonisarius am kaiserlichen Hof Rudolphs II.) nach Köln. Bisher existieren keine publizierten Forschungen, die sich detailliert mit den beiden Chorbüchern beschäftigen. Eines der Chorbücher enthält vier Messen des italienischen Komponisten Stefano Felis (1538– nach 1608), der sich in den späten 1580er Jahren im Umfeld des Prager Hofes aufhielt und dort auch sein erstes Buch der Messen (Nigrinus 1588) drucken ließ. Das andere Chorbuch schließt Messen von Orlando di Lasso, Philippe de Monte (damals Hofkapellmeister Rudolphs II.) sowie eine anonym überlieferte Komposition mit ein. Der Vortrag wird sich sowohl mit dem musikalischen Umfeld Felis' in Prag und seinem Schaffen als Messenkomponist beschäftigen als auch den Weg der Chorbücher von Prag nach Köln nachzeichnen sowie die Quellen mit ihren Wappen, Wasserzeichen und Schreibern in den Fokus nehmen. Es sollen ausgehend von den bisherigen Ergebnissen mögliche weiterführende Forschungsfragen aufgezeigt und diskutiert werden.
Die These der Erneuerung der Musik im Geiste des Renaissance-Humanismus, besonders im Geiste der Rhetorik, lässt gerne übersehen, dass das Komponieren mit Zahlen und mit ihm das platonisch-pythagoräische Erbe im 16. Jahrhundert durchaus noch aktuell waren, wenn auch unter veränderten Vorzeichen. Obwohl bereits Christian Kaden vor einer einseitigen Sichtweise gewarnt hat, wurde gerade das Verhältnis von zahlhaftem Komponieren und dem allgemeinen ästhetischen Wandel selten erforscht. Entsprechend soll das Referat die Diskussion um die Rolle bewusst zahlhaft organisiertem Komponierens im 16. Jahrhundert neu beleben helfen. Am Beispiel des Werks und der Rezeption von Josquin Desprez wird gezeigt, dass der Wille zu rhetorischem Ausdruck und zahlhaft-symbolische Organisation Hand in Hand gehen konnten, dass das pythagoreische Erbe also dem neuen Ausdrucksprinzip integriert werden konnte. Am fünfstimmigen »Salve regina« sowie am berühmten »Miserere« soll in einem ersten Schritt deutlich gemacht werden, dass kompieren mit Zahlen nicht als geheimniskrämerisch-hermetische Angelegenheit, sondern als Teil eines wirkungsästhetischen Kalküls analysiert werden kann, das sich offensichtlich und dezidiert an den Hörer richtet und sich somit als Parallelphänomen etwa zu Giovanni Battista Albertis Architekturtheorien verstehen lässt. In einem zweiten Schritt soll darauf hingewiesen werden, dass vergleichbare zahlhafte Konzepte auch für Josquins spektakuläres Nachleben von Bedeutung waren, und zwar anhand kurzer Einblicke in die deutschen und italienischen Kontext unter Berücksichtigung wenig bekannter Zeugnisse u.a. aus der Feder Philipp Melanchthons und Gioseffo Zarlinos.
Die Mariencanzone (»Vergine bella«) ist mit ihren elf Strophen einer der längsten Texte aus Francesco Petrarcas Gedichtband Canzoniere. Beginnend mit Guillaume Dufays Vergene bella gab es mehrere Vertonungen einzelner Canzonenstrophen, bis 1548 Cipriano de Rores zyklische Vertonung erschien, wenn auch zunächst unvollständig. In den folgenden gut hundert Jahren entstanden weitere zyklische Vertonungen, von denen zehn erhalten sind (u.a. von Alfonso Ferrabosco Il Vecchio, Francesco Portinaro, Giovanni Matteo Asola, Giovanni Pierluigi da Palestrina und Ippolito Baccusi). Der Vortrag befasst sich mit der Frage, in welchem Verhältnis diese jüngeren Vertonungen zu dem mutmaßlichen Modell Cipriano de Rores stehen, dessen Kompositionen nach seinem Tode 1565 weiterhin nachgedruckt wurden und für viele jüngere Komponisten Vorbildcharakter hatten. Jeder Komponist, der in der fraglichen Zeit die Mariencanzone vertonte, kannte zum einen mit Sicherheit de Rores Vertonung und musste sich zum anderen daran messen lassen. Gibt es also in den jüngeren Vergine-Zyklen bewusste Bezugnahmen auf de Rore im Sinne einer imitatio und wie lassen sich diese von Stil- und Gattungskonventionen unterscheiden?
Heilsgeschichtliche Aspekte prägen die Musikanschauung und musikhistorischen Abhandlungen des Wolfenbütteler Hofkapellmeisters Michael Praetorius, der seinen Wahlspruch »Mihi patria coelum« (»Das Vaterland ist mir der Himmel») zum Künstlernamen machte. Sie sind auch ein Reflex einer besonders seit Luther als »gefehrlich« und »wunderlich« empfundenen Zeit – so Praetorius selbst, in der sich Prophezeiungen vom Weltende, Himmelserscheinungen und Naturkatastrophen verdichteten und den Eindruck verstärkten, das Jüngste Gericht stehe kurz bevor. Der Vortrag thematisiert anhand von Bekenntnissen und Selbstzeugnissen Praetorius’ spezifisch lutherisches Weltbild und setzt es mit ausgewählten musikalischen Werken und ihrer Aufführungs- und Widmungspraxis in Beziehung. Dabei sollen Impulse der jüngeren Forschung zu Konfessionskulturen der Frühen Neuzeit einen neuen Blick auf Praetorius werfen, dessen Werk und Leben in der Forschung nach wie vor von älteren Darstellungen und ihrem Bild einer erstarrten, national und religiös eingeengten lutherischen Orthodoxie bestimmt ist. Zugleich wird nach dem konfessionspolitischen Kontext seiner Werke gefragt, die er als Kapellmeister dreier einflussreicher, lutherischer Dienstherren in der Zeit kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg veröffentlichte.
Die Etablierung des Luthertums bedeutet für die kirchliche Musikpflege eine Reform, die einerseits Kontinuität zum vorreformatorischen Repertoire anstrebt und andererseits über theologische Anpassung von Textgrundlagen und Pflege zeitgenössischen protestantischen Repertoires eine Neuausrichtung ermöglicht. Legitimiert wird das lutherische Repertoire durch seine Verankerung in der musikalischen Tradition ebenso wie durch den Anspruch bibelgemäßen kulturellen Handelns. Das hierin deutlich werdende musikalische Traditionsverhalten und -verständnis der Lutheraner und die Funktion der Musik als Trägerin von Traditionsbindung und -konstruktion wird anhand von Falluntersuchungen zum lutherischen Repertoire im norddeutschen Raum diskutiert. Präskriptive und deskriptive Textquellen zur Musikpflege und zum Musikverständnis reflektieren das musikalische Selbstverständnis der Protestanten und zeigen ein bewusstes Traditionsverhalten durch das Medium der Musik. Dabei steht die Bedeutung der Musik als Element der Konstruktion von Tradition, das in Wechselwirkung zur theologischen und historiographischen Begründungen der neuen Konfession steht und autorisierende sowie identitätsstiftende Wirksamkeit entfaltet, im Fokus.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts ist im deutschsprachigen Raum ein Aufschwung in der Publikation von Büchern über den Musikunterricht zu beobachten. Das am meisten verbreitete Werk zu der Zeit scheint das »Compendiolum musicae« von Heinrich Faber (ca. 1548) zu sein, welches nicht so sehr durch seine Tiefe als durch die Organisation seines Inhalts bemerkenswert ist. Die grundsätzlichen Praecepta der Musik sind darin mittels eines genauen Plans erklärt, der eine Reflexion des Autors über die zunehmende Schwierigkeit der darzulegenden Kenntnisse zeigt. Die musikalischen Beispiele, die den didaktischen Inhalt begleiten, bilden andererseits einen wichtigen, bis jetzt wenig untersuchten Aspekt der Lehrbücher wie dem von Faber, oder der »Practica Musica« von Herrmann Finck (1556), einem noch ausführlicheren Werk. Der Vortrag soll offenlegen, dass diese didaktischen Beispiele nicht zufällig ausgewählt sind – ob es sich um Stücke aus dem Repertoire oder um originale Kompositionen handelt –, und dass sie eine dezidierte pädagogische Funktion erfüllen.
Fundamentum – mit diesem aus der Architektur entlehnten Begriff bezeichneten Organisten über 100 Jahre lang eine didaktische Praxis, durch die eine Transformation eines einstimmigen Gesanges – des cantus firmus – zur Mehrstimmigkeit gelehrt wurde. Anders als heutige Lehrkonzepte, bei denen die komplizierte »Wirklichkeit« anhand möglichst weniger abstrakter Regeln fassbar gemacht werden soll, verwenden die Fundamenta eine Vielzahl von Lehrbeispielen, die in sich geschlossene Sinneinheiten bilden, in der Summe aber ein breites Spektrum an (Lösungs-)Möglichkeiten bieten. Die musikwissenschaftliche Forschung sah in den zum Teil nur mit wenigen Über- und Beischriften versehenen Folgen von Exempla bisher vor allem eine ›Vorstufe‹ zum enzyklopädischen Traktat, wie er auf anderen musiktheoretischen Gebieten zu gleicher Zeit üblich war. Eine These dieser Arbeit ist, dass das Fragmentarische, das ›Unfertige‹ zum Wesen der Fundament-Didaktik gehört – und dass diese einer offenen, auf Zuwachs und individuelle Anpassung abzielenden Organisation unterliegt. Die Beispielsammlungen scheinen in der Summe ein Diagramm zu ergeben, das potenziell eine Vielzahl von dynamischen Erkenntnisprozessen in sich trägt. Als Teil einer Vermittlungsstrategie, die einen kundigen Lehrer erfordert, der die mannigfaltigen Erkenntnispotenziale erkennt und aus dem Material sinnvolle Lerneinheiten ableitet, geben die Fundamenta Einblick in die Konzepte ihrer Urheber. Eine Kontextualisierung vor dem Hintergrund anderer zeitgenössischer Lehrwerke – wie zum Beispiel zum Briefschreiben oder zur Gedächtniskunst – zeigt die Fundament-Didaktik als eines von zahlreichen Konzepten, bei dem diagrammatische Denkmuster die Verschriftlichung semiliterater Lehr- und Lernprozesse prägen.
Seit der Verpflichtung von sechs italienischen Musikern aus der Trienter Hofkapelle durch den jungen albertinischen Kurfürsten Moritz von Sachsen 1549 nimmt der Dresdner Hof im Hinblick auf die Rezeption italienischer Musik im mitteldeutschen Raum eine Schlüsselrolle ein. Von den einzelnen Phasen musikalischer Italianità, die sich an der Residenz in Dresden zwischen Interim und Beginn des Dreißigjährigen Krieges vollzogen, greift der vorliegende Beitrag zwei Teilmomente heraus: Aus einer vermehrt musikimmanenten Perspektive seien die italienisch- und deutschsprachigen Liederbände der ersten italienischen Hofkapellmeister in Dresden Antonio Scandello (1517–1580) und Giovanni Battista Pinello di Ghirardi (um 1544–1587) betrachtet. Komparatistische Zugriffe – die im Übrigen bis dato erst in Ansätzen getätigt wurden – sollen hierbei nicht nur kompositionstechnischen Individualisierungen in Bezug auf ein augenscheinlich typisiertes Repertoire, sondern auch eventuellen italienisch-deutschen Assimilierungs- und Überblendungsphänomenen auf die Spur kommen. Die musiksozialgeschichtliche Dimension der unbedingten Strahlkraft Italiens um 1600 sei im Zusammenhang mit den Studienaufenthalten, die Dresdner Musiker zu jener Zeit an der Hofkapelle der Medici in Florenz absolvierten, exemplifiziert.
Mittelalterliche Mehrstimmigkeit aus dem deutschsprachigen Gebiet wird in der musikwissenschaftlichen Forschung bis heute mit Begriffen wie rückständig, retrospektiv, atavistisch, primitiv oder altertümlich belegt. Die Begrifflichkeiten beschreiben den Rückfall in alte Muster, den Verfall von Ideen, die sich doch bis dato zu einer Blüte entwickelt hatten (so beispielsweise die frankoflämische Vokalpolyphonie), bis hin zu peripheren Auswüchsen, die in Chorherrenstiften und Klöstern verschiedener Orden in die Liturgie integriert wurden. Mit den genannten Aspekten geht offensichtlich in der Forschung die Auffassung einher, dass sich Untersuchungen des Repertoires und deren Kontextualisierungen nur wenig lohnen. In meinem Vortrag sollen daher folgende Fragestellungen genauer beleuchtet werden: Was beschreiben die oben genannten Begriffe überhaupt? Von welchen Geschichtsbildern oder Modellen gehen sie aus? Wie kann man der spätmittelalterlichen Mehrstimmigkeit trotz ihrer Etikettierung mit dem Konstrukt der Rückständigkeit gerecht werden? Und welche Stilistiken sind den mehrstimmigen Gesängen eigentlich eigen?
Ungeachtet der musikhistorischen Bedeutung Palestrinas mangelt es bis heute an einem wissenschaftlich fundierten, auf umfassender Quellenforschung gegründeten Werkverzeichnis, das als Basis für musikwissenschaftliche Studien unterschiedlichster Zielsetzung, aber auch als bibliographisches Hilfsmittel für die musikalische Aufführungspraxis dienen kann. Eine entscheidende Hürde stellte dabei in der Vergangenheit der große Umfang des von Palestrina hinterlassenen Œuvres und dessen weitverzweigte Quellenüberlieferung dar. Deshalb sollen in dem im Aufbau befindlichen Online-Verzeichnis der Werke Palestrinas zunächst alle relevanten bibliographischen Daten zu den ca. 800 musikalischen Werken – für die derzeit ca. 10.000 weltweit gestreute Quellennachweise vorliegen – mittels einer eigens entwickelten Datenbanksoftware erfasst, die Werke auf der Basis ihrer wichtigsten Quellen digitalisiert und einschließlich quellenspezifischer Lesarten (vom Programm automatisch ermittelt) visualisiert werden. Hinsichtlich der Quellen sind umfassende Dokumentationen und Beschreibungen abrufbar. Schließlich wird neben den üblichen Datenbank-Rechercheverfahren auch die Möglichkeit bestehen, in den erfassten Stimmen/Partituren in einem umfassenden Sinne nach musikalischen Parametern und strukturellen Zusammenhängen zu suchen, womit sich Schnittstellen zu weiteren Forschungsfeldern eröffnen.
Die Forschung geht heute im allgemeinen davon aus, die Gesänge Hildegards von Bingen (1098-1179) seien zumindest in ihren Heimatklöstern Disibodenberg und Rupertsberg in der Liturgie verwendet worden. Als Beleg für diese These gilt u. a. die Tatsache, dass die in den Handschriften als »Antiphona« bezeichneten Gesänge teilweise mit Psalmtonangaben versehen sind. Dabei gehören diese Angaben zu den instabilsten und rätselhaftesten Phänomenen der Überlieferung von Hildegards musikalischer Produktion. Eine eingehende Analyse und Kontextualisierung der Überlieferung führt zu dem Schluss, dass die Psalmtonangaben weniger auf eine gefestigte liturgische Praxis verweisen als vielmehr auf Redaktionsprozesse, die sich im Sinne einer Liturgisierung deuten lassen. Dies wirft die Frage nach den Prämissen dieser redaktionellen Vorgänge auf.
Die Schriften Anselmis haben wenig Beachtung in der Forschung gefunden. Einige Aufsätze zur musica mundana sind zu finden, aber vor allem dieses Thema zur Musik in Verbindung zur Naturphilosophie wurde vernachlässigt. Anselmis De musica wurde in drei Teilen verfasst. Der erste Teil, der sich mit der harmonia coelestis – d. h. mit der boethianischen musica mundana – beschäftigt, beginnt als eine Rede von der Naturphilosophie: Wie werden die Gewässer eines Thermbades geheizt? Nun stellen sich viele Fragen: Welche Rolle spielt die Naturphilosophie im musikalischen Denken des Anselmis? Wie geht er mit der damals vorherrschenden aristotelischen Ansicht der Naturphilosophie um, die sich gegen jegliche kosmische Harmonie gewehrt hatte? Bietet diese Schrift Anselmis Neuigkeiten im Anschluss zur damaligen Naturphilosophie und Entwicklung der Wissenschaften? Spielt die Magie – im Rahmen der Naturphilosophie – eine Rolle im Denken des Anselmis? Dies sind die leitenden Fragen meines Vortrages, der sich um eine philosophische Analyse des Begriffes musica mundana bemüht.
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts werden im Umfeld der Reformbewegungen der Augustiner Chorherren Text und Melodie der liturgischen Feier der Visitatio sepulchri neu kompiliert. Im Gegensatz zu den ältesten Überlieferungen der szenischen Darstellung des Quem queritis-Dialogs – wie etwa in den Regularis Concordia (entspr. Typ I) dargestellt –, fügt die neugestaltete Visitatio Typ II der bekannten narrativen Abfolge der Gesänge ein weiteres Element hinzu: Die neu kompilierten Gesänge werden so subtil mit überlieferten Chorälen kombiniert, dass eine spezifische Modusgestaltung ausgemacht werden kann, welche die Typ II-Visitatio im allgemeinen charakterisiert. Diese zunächst simple tonale Markierung erhält zusätzliche Bedeutung, wenn sie mit der Abfolge von liturgischen Gesten, figuralen Bewegungen und der theologischen Deutung der szenischen Darstellung verglichen und enggeführt wird. Der Aspekt des Performativen eröffnet dabei neue Wege, um die vielerforschte Visitatio Sepulchri auf paläographischer, musiktheoretischer sowie analytischer Ebene neu zu bewerten und die Ergebnisse für eine Diskussion des Aisthetischen zu öffnen.
Die Entwicklung und Anwendung computergestützter Methoden in der Renaissancemusikforschung erfordert vor allem auch eine maschinenlesbare Datengrundlage. Das hier vorgestellte Dissertationsprojekt »Computergestützte Quellenanalyse polyphoner Messordinarien. Verbreitungswege der Messkompositionen der frühen Handschriften des Fondo Capella Sistina« umfasst im Zuge der Methodenentwicklung nicht nur die Erarbeitung konkreter Analyseprozeduren, sondern schließt gezielt auch den Fragenkomplex der Erarbeitung einer maschinenlesbarer Datengrundlage ein. Dabei stellt insbesondere die Zielsetzung, Befunde anhand der spezifischen Lesarten von Quellenmaterial zu erarbeiten, eine spezielle Herausforderung dar, trifft doch hier die Ambiguität mensural notierter Polyphonie auf einen Formalisierungsanspruch, der grundlegend für den Einsatz digitaler und quantitativer Methoden ist. In die Problematik wird anhand konkreter Fallbeispiele eingeführt, um diese gezielt zu kontextualisieren.
Sebastian Virdungs Musica getutscht, gedruckt 1511 bei Michael Furter in Basel, ist laut Titel und Widmungsvorrede dediziert »zu eren dem hochwirdigen hochgebornen fürsten unnd herren«, dem Straßburger Bischof Wilhelm III. von Hohnstein, der mit Virdung auf dem Augsburger Reichstag 1510 in Kontakt getreten sei. Dieser Konnex – so wie aus anderen Perspektiven etwa auch die Wendung zur Vernakularsprache, die Wahl der näher behandelten Instrumente und die reiche Bildausstattung mit z.B. der auf einen höfischen Kontext weisenden Darstellung eines Lautenisten von Urs Graf – deutet auf eine höfisch-aristokratisch orientierte Zielgruppe der Schrift und lässt entsprechend nach Status und Funktion von Instrumenten und Instrumentalmusik in fürstlich-adeligen Kreisen um 1500 fragen. Mit näherem Blick auf Virdungs biographisches und prosopographisches Umfeld (insbesondere am Pfalzgrafenhof zu Heidelberg sowie der Umgebung Kaiser Maximilians) sollen daher Rolle und Implikationen der »instrumentischen musica« für den zweiten Stand erörtert werden, wobei insbesondere höfische Erziehungsschriften und Fürstenspiegel, aber auch die (spät-)mittelalterliche Heldendichtung und die höfische Literatur zu konsultieren sind.
Im frühen 20. Jahrhundert etablierte sich in der Musikwissenschaft für die Klassifikation von Liedtexten, Melodien und Liedsätzen des 16. Jahrhunderts ein dichotomes Denkmodell von Hofweise und Volkslied. Diese Einteilung ist bis heute beibehalten worden, obwohl mehrfach Bedenken sowohl an der Systematik als auch der Terminologie geäußert wurden. In diesem Vortrag wird nun ein neuartiges Klassifikationsmodell vorgestellt, das auf der Unterscheidung von drei Stilregistern beruht und darüber hinaus eine weitere Untergliederung zur detaillierten Erfassung des Repertoires bietet. Als Ausgangspunkt des Modells dient erstmals nicht ein isolierter Text oder eine Melodie, sondern die mehrstimmige Faktur des Satzes. Diese Perspektive ermöglicht einerseits eine Fokussierung auf die polyphone Ausgestaltung der Liedsätze und öffnet andererseits den Blick für die unterschiedlichen Optionen, die einem Komponisten offen standen, um auf neu geschaffene oder übernommene Melodien einzugehen. Besonders bei der Erschließung größerer Liedkorpora erweist sich die neue Klassifikation als ein effektives Instrument, was anhand verschiedener Beispiele präsentiert werden soll.
Der Vortrag widmet sich der polyphonen Musik für die Totenliturgie in Italien um 1600. Wenn wir versuchen, die Geschichte und Geographie dieses Repertoire zu rekonstruieren, finden wir eine oft widersprüchliche Situation, da offizielle Vorschriften und musikalische Praxis oft nicht miteinander übereinstimmen. Anhand überlieferter Quellen wie Caeremonialia, Festival Books, sowie Tagebüchern von Zeremonie-Meistern und – selbstverständlich – von Musikquellen, werde ich versuchen, ein komplexeres Verständnis der Präsenz (und Absenz) von polyphoner Musik während der Totenliturgie zu erreichen. Gleichzeitig wird auch die Problematik der aufgeführten Quellen deutlich werden.
Der Vortrag befasst sich mit ausgewählten Entwicklungsstationen früher Musikhistoriographie im 15. und 16. Jahrhundert. Ausgehend von der Frage, wie sich der Übergang von der mittelalterlichen zur frühneuzeitlichen Musikgeschichtsschreibung vollzogen hat, sollen verschiedene Konzepte der Diskursivierung musikhistorischen Wissens vorgestellt werden. Dabei gelangen zentrale Akteure Italiens und Mitteldeutschlands sowie Textgenres musikalischer Geschichtsschreibung in den Fokus der Betrachtung. Zudem sollen im Zuge eines Überblicks aktuelle Forschungsansätze diskutiert und Probleme der Differenzierung zwischen „alter“ und „neuer“ Musikgeschichtsschreibung analysiert werden.
Zu den bekanntesten und am weitesten verbreiteten polyphonen Magnificat-Vertonungen des 16. Jahrhunderts zählen die 8 bzw. 16 Vertonungen von Cristóbal de Morales. In den frühesten Quellen vor allem im italienischen Umfeld gedruckt und verbreitet und durch die päpstliche Tradition und Liturgie beeinflusst, werden sie in der gängigen Literatur dennoch überwiegend als ‚spanische Magnificats‘ bezeichnet. Aber was, außer der Herkunft des Komponisten, ist das ‚Spanische‘ in diesen Vertonungen?
Zur Beantwortung dieser Frage fokussiert sich der Vortrag auf Morales' spanischen Hintergrund und seine spanischen Vorbilder. In welcher Magnificattradition ist er aufgewachsen, was kannte er womöglich und lässt sich überhaupt eine typisch ‚spanische‘ Magnificattradition ausmachen? Der Fokus liegt dabei auf dem Repertoire und der Tradition in Sevilla, wo er vermutlich aufwuchs, sowie Ávila und Plasencia, wo Morales als Kapellmeister tätig war. Daher soll zunächst ein Überblick über das vorhandene Magnificatrepertoire gegeben werden. Eine detaillierte Analyse versucht anschließend die typisch ‚spanischen‘ Merkmale herauszuarbeiten und zu verdeutlichen.
Im San Lorenzo Palimpsest (Archivio Capitolare di San Lorenzo, Ms. 2211) – eine am Anfang des 15. Jahrhunderts in Florenz entstandene Sammlung italienischer und französischer Kompositionen – finden sich Unica der drei Trecentokomponisten Giovanni Mazzuoli († 1426), Piero Mazzuoli († 1430) und Ugolino da Orvieto († 1452). Ihnen wurden mittlerweile bestimmte Rollen in verschiedenen Geschichtsbildern zugesprochen, ohne dass eine intensive Untersuchung des Repertoires stattgefunden hätte. Hier setzt das Dissertationsprojekt an. Ziel ist die erstmalige Erschließung, Analyse und Kontextualisierung dieser noch unbekannten Kompositionen. Neben der Herausarbeitung verschiedener Stilelemente der Komponisten wird der Überlieferungsträger genauer untersucht, um neue Aussagen über Schreiber und Schreibprozesse treffen zu können. Zur besseren Kontextualisierung der Komponisten im Florentiner Musikleben werden zudem neu aufgefundene Dokumente ausgewertet, durch die sich insbesondere Giovanni und Piero als ausführende Musiker präziser an wichtigen Florentiner Institutionen verorten lassen. Im Vortrag werden anhand von Fallbeispielen Ergebnisse der Dissertation präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Als früheste und älteste Votiv-Messe ist das Requiem, Missa pro defunctis, nachweisbar. Sehr früh gehörte zur Messe der Gesang, der sich zunächst als einstimmiger, unbegleiteter Gesang der katholischen Liturgie, mit dem ersten polyphonen Requiem von Ockeghem Ende des 15. Jahrhunderts erstmals mehrstimmig präsentierte. Die den Rahmen bildenen Worte »Requiem aeternam« stellen den ältesten Teil des gesamten liturgischen Textes des Requiems dar. Sie haben ihren Ursprung in dem im 1. Jahrhundert nach Christus verfassten IV. Buch Esra.
Im Vortrag soll es um die vortridentinischen, polyphonen Introitus-Vertonungen gehen, die diese Worte beinhalten. Im Fokus steht dabei die Kontinuität, die diese Vertonungen textlich, aber auch musikalisch auszeichnet. Durch die stichprobenartige Analyse anhand bestimmter Parameter soll diese Konstanz belegt werden.
Die Musik des Minnesangs findet heute kaum Beachtung in der musikwissenschaftlichen Forschung. Einer der Gründe für diese akademische Vernachlässigung des deutschsprachigen Liedrepertoires des späten zwölften bis frühen vierzehnten Jahrhunderts ist die problematische Quellensituation; so verweisen Musikwissenschaftler immer wieder auf die fehlende Melodieüberlieferung zum Minnesang (z. B. der Artikel „Minnesang“ in NGrove). Um diese Lücke zu füllen, etablierten Musikwissenschaftler (vor allem Friedrich Gennrich) eine umfassende Kontrafaktur-Theorie, und argumentierten, dass die deutschen Minnesänger für ihre Melodien auf romanische Melodiemodelle zurückgegriffen hätten.
Der Vortrag beleuchtet die Alternativen zu solchen Vorgehen, in dem er sich mit einigen der existierenden Quellen zum Minnesang auseinandersetzt und sie auf ihre Musikalität hin untersucht—auch jenseits notierter Melodien. Dabei zeigt sich einerseits, dass durchaus Melodien zum Minnesang überliefert sind, die jedoch (aus unterschiedlichen Gründen) von der Forschung unbeachtet geblieben sind; und andererseits, dass auch nicht-notierte Minnesang-Quellen es verdienen, als genuin musikalische Quellen ernst genommen zu werden.
Scholars have observed that the extensive and systematic notation of Office hymn melodies at most European institutions took place after the mid-eleventh century (Boynton, 2003); yet the understanding of how Office hymns were taught and learned prior to that time remains vague, often insufficiently described solely with the nebulous phrase »oral transmission.« Although the work of Boynton and Gneuss has clearly shown that Office hymns were incorporated into pedagogical instruction, the mechanics of that instruction—the precise skills taught to students, and the role that written hymn texts, punctuation, and musical notation played in a pedagogical context—have not been thoroughly investigated.
By examining St. Gallen’s ninth-, tenth-, and eleventh-century documents containing hymn texts—not only liturgical hymnaries and breviaries, but also literary and pedagogical compilations—this presentation reconstructs the mechanics of the transmission of Office hymn melodies at the abbey of Sankt Gallen. The presentation also considers the scribal use of punctuation to provide musical information and the reasons behind the abbey’s relatively late notation of Office hymn melodies.
Betrachtet man signifikante Phasen der Musikpflege, die an den (insbesondere kurfürstlichen) Höfen des Hauses Wettin im 16. Jahrhundert praktiziert wurde, mit geschärftem Blick, so offenbart sich eine kontextuell vielfältige und quellentechnisch vergleichsweise gut belegbare Kontinuität an musikalischen Transferlinien aus Italien: Beispiele hierfür wären »italienische« Überlieferungskonstellationen in den Jenaer Chorbüchern Friedrichs des Weisen, der Einbezug von italienischen Anteilen kurfürstlicher Musikaliensammlungen in das Druckprogramm Georg Rhaws, die Rezeption leichterer italienischer Musik durch italienischstämmige Dresdner Hofkapellmeister (Antonio Scandello, Giovanni Battista Pinello di Ghirardi) sowie die Dreiecksbeziehung Florenz-Dresden-Prag in den Jahrzehnten um 1600.
Auf der Basis eines über enge institutionelle Kategorisierungen hinausgehenden Begriffes der Hofmusikpflege soll versucht werden, die Tragweite der Beziehungen wettinischer Höfe zur italienischen Musikkultur zu hinterfragen, zu vertiefen und vor einem breiten kulturhistorischen Hintergrund zu kontextualisieren, neue Quellen und wenig berührte höfische Umfelder (z.B. Weimar) zu erschließen sowie schlussendlich vernachlässigten bzw. unbekannten ästhetischen Diskursen im Hinblick auf eine frühe musikalische Italianità nachzugehen.
Im 11. und 12. Jahrhundert schlossen sich zahlreiche Klöster des deutschen Sprachgebiets der von Hirsau im Schwarzwald ausstrahlenden benediktinischen Reform an. Mit der Orientierung an den Hirsauer Gewohnheiten ging auch eine Übernahme der liturgischen Gesangspraxis des Schwarzwaldklosters einher, deren wesentliche Charakteristika seit den Forschungen Felix Heinzers zum Hirsauer Liber ordinarius, zu den Alleluia- und Responsorienreihen sowie zum Hymnar der Reformbewegung und den Studien Andreas Haugs und Lori Kruckenbergs zum Hirsauer Tropen- und Sequenzenbestand bekannt sind.
Die Rezeption des von Hirsau aus verbreiteten Repertoires an Gesängen bedeutete jedoch nicht unweigerlich auch den Verzicht auf die Ausbildung eines eigenen musikalisch-liturgischen Profils, die Preisgabe bereits bestehender lokalliturgischer Traditionen oder aber die Abkehr von neuen Entwicklungen im Bereich der Mess- und Offiziumsliturgie: Handschriften aus dem Reformkreis lassen neben den typischen Hirsauer »Fingerprints« (Kruckenberg) oft ganz eigene Prinzipien bei der Auswahl von Gesängen erkennen, die nicht selten lokale, regionale und überregionale Traditionen zusammenführen.
Aus dieser Perspektive soll im Vortrag die für das steirische Kloster Admont zu sichernde musikalische Überlieferung in den Blick genommen werden. Neben seiner Zugehörigkeit zum Hirsauer Reformnetz war Admont als Salzburger Eigenkloster fest verankert im Salzburger Diözesanverbund. Als österreichisches Subzentrum der Hirsauer Reform unterhielt es ferner enge Kontakte zu mehreren Klöstern der Kirchenprovinz, aber auch zu weiter entfernten Filiationen, darunter etwa Moggio im Patriarchat Aquileia. Wie wirkt sich diese spezifische Konstellation auf die in Admont etablierte liturgische Musikpraxis aus?
Im Zusammenhang mit den L’homme armé-Messen wird häufig von »der Vorlage« gesprochen, ohne dass berücksichtigt wird, dass es eine (einstimmige) Vorlage gar nicht gibt und die Melodie immer nur im polyphonen Kontext überliefert wurde. Die einzige Quelle, die eine vollständige Melodie-Version mit Text überliefert, ist das neapolitanische Manuskript MS VI E 40. Dragan Plamenac, der das besagte Manuskript 1925 entdeckte, vermutete, dass es eine frühere, mehrstimmige Version geben müsse. Die Entdeckung der dreistimmigen Doppelchanson »Il sera par vous/L’homme armé« (Mellon Chansonier fol. 44v und 45r) und ihrer vierstimmigen, untextierten Fassung (Casatanense MS 2856 fol. 156v und 157r) gilt oftmals als Bestätigung dieser These. Doch schon bei diesen beiden frühesten Stücken zeigt ein genauer Vergleich der Melodien, dass die Tenores der beiden Versionen des gleichen Stückes von den Melodieformen der frühesten Messen weiter entfernt sind als die Melodie im älteren neapolitanischen Manuskript.
Im Vortrag soll es darum gehen, den Extraktionsprozess aus der mehrstimmige Vorlage bzw. den mehrstimmigen Vorlagen nachzuverfolgen und zu untersuchen, wie verschiedene einstimmige »Vorlagen« entstehen, die oft deutlich voneinander abweichen. Das Ergebnis soll mit den diversen Vorlage-Versionen verglichen werden, von denen in der Fachliteratur ausgegangen wird, angefangen von Lexikoneinträgen bis hin zu Aufsätzen und kritischen Ausgaben.
Im Jahre 1600 legte der Leipziger Thomaskantor Sethus Calvisius seine Exercitationes musicae duae vor, deren zweiter Teil den Titel »De initio et progressu musices« trägt. In der Forschungsliteratur wird die Abhandlung häufig als Beginn der »modernen« Musikhistoriographie beschrieben, da hier (u.a.) erstmals der Versuch unternommen wird, mithilfe chronologischer Studien eine konsistente Entwicklungsgeschichte der Musik von ihren mythisch-biblischen Ursprüngen bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu rekonstruieren.
Der Vortrag möchte nicht nur die Anfänge des musikgeschichtlichen Schrifttums im mitteldeutschen Raum beleuchten, in dem Calvisius aufgrund seiner beruflichen Personalunion als Chronologe, Musikpädagoge und Historiker eine diskursstarke Stellung einnahm. Darüber hinaus sollen Calvisius’ musikhistoriographische Studien vor dem Hintergrund des im 16. Jahrhundert stetig wachsenden Schrifttums genuin lutherischer Universalgeschichtsschreibungen diskutiert werden, die maßgeblich zur Stiftung eines konfessionellen Identitätsbewusstseins beigetragen haben.
Calvisius’ Amtsantritt als Thomaskantor (1594) fiel in eine turbulente Zeit, in der Leipzig von mitunter blutigen Machtkämpfen zwischen den protestantischen Lagern der Lutheraner und der Kryptocalvinisten beherrscht wurde. Nachdem sich schließlich die Lutheraner in den auch politisch motivierten Konfessionskämpfen erfolgreich durchgesetzt hatten, konnte folglich nur ein linientreuer Vertreter im renommierten Amt des Thomaskantorats geduldet werden. Insofern sollen die Exercitationes von Calvisius nicht nur als potentieller Beitrag zu einer lutherisch inspirierten Geschichtskonstruktion, sondern auch vor dem Hintergrund der politisch wie konfessionell windungsreichen Machtkonflikte im Musikzentrum Leipzig diskutiert werden.
Das im 12. Jahrhundert in aquitanischen und normanno-sizilischen Quellen überlieferte »Neue Lied« zählt zu den signifikantesten Beständen der Musikgeschichte des Mittelalters. Erstens bedeutet die Verbindung oft hoch artifizieller rhythmischer Verse mit einer ihrerseits neuartig profilierten Melodik einen »liedgeschichtlichen Paradigmenwechsel« (Haug). Zweitens bilden die zweistimmigen Vertreter des »Neuen Liedes« einen der ersten umfangreichen Bestände mehrstimmiger Musik in praktischen Quellen. Dieser wurde – zunächst unter dem Schlagwort der »Schule von Saint Martial« – einer autonomen Geschichte der Mehrstimmigkeit zugeschlagen und dadurch forschungsgeschichtlich von den bis heute unedierten einstimmigen Repertoirebestandteilen tendenziell isoliert. Auf Basis der vollständigen Transkriptionen aller Hauptquellen des ein- und zweistimmigen »Neuen Liedes«, die im Rahmen des Editionsprojektes Corpus monodicum entstanden sind, ist es inzwischen möglich geworden, eine neue Perspektive auf die Relation des Verhältnisses von Ein- und Zweistimmigkeit im 12. Jahrhundert zu gewinnen.
Die von Wulf Arlt und Leo Treitler mehrfach mitgeteilte Beobachtung, dass die aquitanische Zweistimmigkeit in ihren melodischen Konventionen und ihrem Verhalten gegenüber dem Text aus der Einstimmigkeit komme und von dieser nicht kategorial verschieden sei, bestätigen erste Sondagen des vollständigen Materials auf breiter Front. Die geplante Studie widmet sich daher einer Analyse der textlich-musikalischen Gestaltungsmittel des Neuen Lieds, sowohl in der Einstimmigkeit als auch in der Zweistimmigkeit.
Dies verspricht nicht nur eine weitere Erschließung der reichen Gestaltungsmittel dieser neuen Einstimmigkeit, sondern auch die Korrektur eines primär aus der Musiktheorie gewonnenen Bildes der Geschichte der Mehrstimmigkeit im 12. Jahrhundert.
Die Domstadt Naumburg zählte zu den exponierten Schauplätzen der Reformation in Mitteldeutschland. Exponiert deshalb, da die Konfessionskultur der Saalestadt seit dem frühen 16. Jahrhundert vom Mit- und Gegeneinander einer protestantischen städtischen Gemeinde und eines altkirchlichen Domkapitels geprägt war. An diesem Zustand vermochte weder die 1542 auf kurfürstlichen Druck erfolgte Einsetzung Nikolaus‘ von Amsdorf als ersten protestantischen Bischof, noch die 1547 infolge des Schmalkaldischen Krieges vollzogene ›Rekatholisierung‹ des Bischofsamtes unter Julius von Pflug etwas Wesentliches zu ändern. Während hinsichtlich der liturgisch-musikalischen Praxis in der städtischen Kirche zu St. Wenzel schon 1527 mit einer dem lutherischen Modell nahestehenden Gottesdienstordnung klare Verhältnisse geschaffen wurden, bewirkte die besondere konfessionspolitische Situation, dass im Naumburger Dom protestantischer und altkirchlicher Kult eine aus moderner Sicht ungewöhnliche Melange bildeten.
Diese ist insofern nach ihren spezifischen Voraussetzungen und Konsequenzen zu befragen, da sie sich trotz hier und da aufbrechender Konflikte offenkundig als tragfähiges Modell erwies: Im Kirchenraum des Naumburger Doms erklangen noch im 19. Jahrhundert evangelische Kirchenlieder neben lateinischen liturgischen Gesängen.
Dieser Vortrag zeichnet die Entstehung dieser ›liturgisch-musikalischen Janusköpfigkeit‹ anhand zentraler Quellen der Naumburger Reformationsgeschichte nach. Dabei geht es in erster Instanz um die Gewinnung einer Perspektive, welche sich den mannigfaltigen Gestalten öffnet, die für das Zusammenspiel von Liturgie und Musik im Mitteldeutschland des 16. Jahrhundert nachweisbar sind. Nicht das konfessionelle Schwarz-Weiß, sondern die im komplexen Zusammenspiel regional- und reichspolitischer, aber auch kommunitaristischer und frömmigkeitskultureller Interessen entstandenen Grautöne sind es, die von der Peripherie des musikkulturellen Geschichtsbildes ins Zentrum eines neuen Forschungsinteresses gerückt werden sollen.
Our knowledge about the musical life in Spain ca. 1300-1350 has substantially increased throughout the last few years. A number of fragmentary sources recently discovered in Burgos, Sigüenza, Sevilla, Tarragona and elsewhere, transmitting Mozarabic prayers, conducti and hockets, reveal a much richer panorama than that limited only to the Las Huelgas Codex. In this session, David Catalunya will present some of these new sources contextualizing them in the theoretical background of the Barcelona treatise on mensural music.
A new concordance of one of the examples given by anonymous St. Emmeram treatise of 1279, hitherto unidentified, will be also explored.