Musik vor 1600 - 220722_faschon
22. Juli 2022, 13:30 Uhr
Alexander Faschon M. A.
(Musikwissenschaftliches Seminar, Universität Heidelberg)

Strategien kompositorischer Autorezeption in der frühneuzeitlichen Messe

Der Vortrag widmet sich dem vielgestaltigen Phänomen der Musik über eigene Musik am Beispiel des frühneuzeitlichen Messordinariums. Im Zeitraum zwischen dem frühen 15. und frühen 17. Jahrhundert finden sich gut 130 Messvertonungen, denen Komponisten ihre eigene – mal weltliche, mal geistliche – Musik zugrunde gelegt haben. Hinsichtlich der für den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen künstlerischen Schaffensprozess konstitutiven Begriffskonstellation von »materia« und »artificium« bedeutet dies eine Verschiebung kompositorischer Selbstverortung – eine mindestens ästhetische, durchaus aber auch historisch perspektivierte Aufwertung des eigenen Schaffens. Kompositorische Selbstbewertung rangiert, wie es scheint, in diesen Fällen nicht kategorisch hinter der autoritativen Geltung tradierter Choralvorlagen. Das Schaffen des Komponisten erhält so – mithin explizit – selbstreferentiellen und -validierenden Charakter. In einer Verknüpfung musik- und literaturwissenschaftlicher Ansätze sollen ausgewählte Beispiele zunächst in ihrem textuellen Verhältnis zu ihrer Vorlage analytischer Betrachtung unterzogen werden, um sodann in einem zweiten Schritt mithilfe translationswissenschaftlicher Konzepte wie denen des Übersetzens und Wiedererzählens auf Muster und Strategien musikalischer Autorezeption hin geprüft zu werden. Dergestalt soll ein Zugang zum frühneuzeitlichen Komponieren gefunden werden, der Ideen musikalischer Autorschaft und künstlerischer Selbstverortung nachspürt.